Eine Juristin und zwei Juristen haben das "Göllektiv" gegründet, um Jura und Kunst zu verbinden. Beim aktuellen Projekt stellen sie Bilder vom Zugang zum Recht zusammen. Über Projekt und Motivation spricht Katharina Reisch im Interview.
LTO: Frau Reisch, Sie bitten derzeit in den sozialen Medien darum, Ihnen Fotos von Zugängen zum Recht zu schicken. Was verbirgt sich hinter der Aktion?
Katharina Reisch: Wir – das sind meine Kollegen Hauke Bock, Tim Festerling und ich - arbeiten an einem Kunstprojekt, das wir im September auf dem 5. rechtssoziologischen Kongress in Innsbruck vorstellen werden. Wir möchten möglichst inklusiv, aus möglichst vielen Perspektiven, Bilder von Zugängen zum Recht darstellen.
Das kann der Eingang zu einem Gericht, zu einer Kanzlei oder einem Notariat sein, die mächtige Pforte des Justizministeriums in Baden-Württemberg, der Nachtbriefkasten des Bundesverwaltungsgerichts oder ein monströser Aktenstapel in einer Staatsanwaltschaft irgendwo in Deutschland.
Die Zugänge zum Recht sind sehr vielfältig und genau das wollen wir mit unserer Aktion zeigen. Deshalb fotografieren wir nicht nur selbst, sondern haben uns bewusst entschieden, auch Fotos aus der Mitte der Gesellschaft zu sammeln. Das ermöglicht uns eine diverse Perspektive auf das Thema "Zugänge"– nicht nur zum Recht, sondern auch zur Kunst.
Wie kamen Sie auf die Idee?
Wir drei kennen uns schon aus dem Studium in Göttingen und promovieren inzwischen am Lehrstuhl von Prof. Dr. Katrin Höffler in Leipzig. Sie hat uns ermutigt, uns für die Teilnahme am Rechtssoziologischen Kongress in Innsbruck zu bewerben, dort ist das Thema in diesem Jahr "Zugänge zum Recht – zugängliche Rechte?".
Als wir drei über das Thema sprachen, wurde die Diskussion sehr schnell sehr intensiv, sehr kompliziert und sehr rechtstheoretisch – bis Hauke ebenso genial wie einfach fragte: Warum nehmen wir nicht einfach das Tagungsthema beim Wort und schauen uns an, wo sich die Zugänge zum Recht baulich manifestiert haben?
Jeder von uns hatte sofort starke Bilder vor Augen: pompöse Prestigebauten, hochmoderne Glasfronten oder heruntergekommene Gebäude aus den 70er Jahren. Und da man bei diesem Kongress – was ja eher ungewöhnlich ist für juristische Tagungen – auch künstlerische Interventionen anmelden darf, haben wir es versucht – und wurden ausgewählt.
Begeisterung für Kunst und Recht kombiniert
Nun treten Sie in den sozialen Medien als "Göllektiv“ auf – was hat es damit auf sich?
Die Initiative sollte einen Namen haben und wir wollten Göttingen als unseren Ursprung, Leipzig als aktuellen Arbeitsschwerpunkt und den Begriff Kollektiv als Ausdruck für gemeinschaftliche Projekte und gemeinsame Interessen miteinander verbinden. Das Interesse für Kunst verbindet uns drei auch privat, das wollten wir zum Ausdruck bringen.
Haben Sie Unterstützer:innen für das Projekt?
Unsere Doktormutter Katrin Höffler hat uns sofort ermutigt, unterstützt und uns Raum auch für diese kreative Arbeit gegeben – und wir können die Website des Instituts für Informationen zum Projekt nutzen. Inzwischen bekommen wir aus dem ganzen Team regelmäßig Fotos, ein Kollege etwa macht gerade sein Referendariat in einer Justizvollzugsanstalt und schickt uns Fotos vom Eingang.
Und die studentischen Hilfskräfte bei uns am Lehrstuhl unterstützen uns mit großem Engagement bei den technischen Fragen rund um das Projekt.
Wie soll das Ergebnis ihrer Aktion aussehen?
Für den Kongress werden wir die Fotos zu einem Gesamtbild zusammenstellen und eine Videoprojektion erstellen, um dann das Thema Zugänge zum Recht mit den Kongressteilnehmer:innen zu reflektieren.
Der Kongress war aber nur der erste Anstoß für die Arbeit des Kollektivs. Wir bekommen so viel positive Resonanz und so viele schöne Einsendungen, dass wir uns sehr gut vorstellen können, dass die "Zugänge zum Recht" nicht das letzte Projekt des "Göllektivs" gewesen sein werden.
Räumliche und zeitliche Dimensionen des Rechts
Welches Bild hat Sie und Ihre Mitstreiter am meisten beeindruckt?
Am meisten beeindruckt uns die pure Vielfalt dessen, was wir zugeschickt bekommen. Das übersteigt alles, was wir uns anfangs vorgestellt haben.
Das ist aber auch das Besondere an dem, was wir als "Citizen Art"-Ansatz bezeichnen: Wir machen nicht nur die Kreativität einiger weniger zur Grundlage eines Projektes, sondern bündeln Perspektiven, die so divers sind wie die Gesellschaft selbst.
Wir sind tief beeindruckt davon, in wie viele verschiedene Richtungen Menschen denken, wenn sie Zugänge zum Recht fotografieren, angefangen mit räumlichen oder zeitlichen Perspektiven.
Wir haben zum Beispiel Fotos von historischen Stätten zugeschickt bekommen, etwa vom ehemaligen Zwinger in Rottenburg am Neckar, wo früher Menschen gefoltert wurden. Das zeigt, was historisch in unserer Gesellschaft mal als "Zugang zum Recht" angesehen wurde.
Wir haben auch internationale Fotos, gerade etwa von einem Gericht in Dublin oder von einem Court House auf San Juan, einer kleinen Insel zwischen Vancouver und Seattle (USA) - und natürlich großartige Fotos aus Deutschland.
Ich habe darunter bisher zwei persönliche Highlights, das ist zum einen die Haltestelle "Landgericht" der Wuppertaler Schwebebahn und ein Bild von einem Straßenschild mit dem Amtsrichterweg aus Schulenburg bei Hannover, was auf ein Amtsgericht hindeutet, das es schon lange nicht mehr gibt.
Besonders freuen würden wir uns noch über Fotos, die ganz andere Perspektiven wählen, etwa eine Landesgrenze oder die Warteschlange vor einer Behörde, ein Formular in einer fremden Behördensprache usw. – also Bilder, die auch die Barrieren zum Recht aufgreifen.
Bisher überwiegend Beteiligung aus der Juristerei
Welche Menschen haben sich bisher beteiligt – nur Jurist:innen oder auch welche aus anderen Fachgebieten?
Es sind bisher überwiegend Jurist:innen. Das liegt natürlich am Interesse am und der Nähe zum Thema und zudem schlichtweg an den alltäglichen Berührungspunkten.
Wir bekommen aber auch Einsendungen von Naturwissenschaftler:innen oder Sozialwissenschaftler:innen wie zum Beispiel von der Ethnologin, die uns die Haltestelle aus Wuppertal geschickt hat. Eine Informatikerin hat mir ein Gericht aus Kiel geschickt. Es ist großartig, dass wir mit dem Projekt auch Menschen erreichen, die andere Hintergründe und auch ganz andere Fachdisziplinen haben als wir. Denn die Zugänge zum Recht beschränken sich ja nicht auf den kleinen Kreis von Jurist:innen, die Tag für Tag mit ihnen arbeiten, sondern sie gehen uns alle an.
Wie können sich Interessierte jetzt noch einbringen?
Bis Mitte September können uns Interessierte Fotos von Zugängen zum Recht per E-Mail oder als private Nachricht über die sozialen Medien schicken oder sie mit dem Hastag #goellektiv“ verlinken. Das "Göllektiv" hat nämlich einen X (Twitter)-und einen Instagram-Account.
Wir haben inzwischen viele Kontakte zu Menschen aufgebaut, die das Thema Recht spannend finden und es schon längst zu ihrer privaten Leidenschaft gemacht haben, zum Beispiel Gerichte zu fotografieren. Für uns ist es natürlich sehr wertvoll, wenn wir auch diese seit Jahren zusammengestellten Bilder in unserem Projekt darstellen dürfen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Interviewte Dipl. Jur. Katharina Reisch ist Doktorandin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig bei Prof. Dr. Katrin Höffler und verfasst selbst gelegentlich Beiträge für LTO.
Foto-Kunstprojekt vom "Göllektiv": . In: Legal Tribune Online, 12.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52468 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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