Recht frech / Eine etwas andere Literaturübersicht: Was man über Sex und Gender nie wissen wollte

von Martin Rath

25.08.2013

UWG und StVO sind schon gegendert, weitere werden folgen. An den unterschiedlichen Karrierechancen von Friseurgesellinnen und Mechatronikgesellen ändert allerdings aller gute Wille nichts. Die rechtssprachlichen Auswüchse der anatomischen Unterschiede zwischen Mann und Frau stellt Martin Rath vor - und wagt sodann einen Abstecher in die US-Justiz, zu Scheidungsklagen und Ehebruch per Cybersex.

Den Juristen (m/w) wird bekanntlich seit einiger Zeit beigebracht, dass auch Frauen vom Gesetz erfasst werden. Zu diesem noblen Zweck wurde beispielsweise in der jüngst überarbeiteten Straßenverkehrsordnung (StVO) aus den älteren Begriffen "Reiter" oder "Treiber von Vieh" ein geschlechtersensibles: "Wer reitet, Pferde oder Vieh führt oder Vieh treibt […]" (§ 28 StVO). Damit zeigt der Gesetzgeber heute, dass er auch an Frauen denkt.

In der "Zeitschrift für Rechtspolitik" kritisiert Rudolf Gerhardt diese feministische Mode, Gesetze in eine "geschlechtergerechte" Sprache zu übersetzen. Er fragt, wo die "Täterinnen und Täter" blieben, wo die "Mörderinnen und Mörder" im Wortlaut etwa des § 211 Strafgesetzbuch (StGB).

Gerhardt meint scherzhaft, dass einst bei der von "Mörderinnen" freien Fassung des Paragrafen "männliche Kavaliere am Werk" gewesen seien, die sich eine "Mörderin" nicht hätten vorstellen können. Ein etwas misslungener Scherz, weil der Begriff "Mörder" erst im Jahr 1941 ins Gesetz geschrieben wurde. Zuvor hieß es dort, wiederum ganz neutral: "Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft."

Gerichte scheitern selbst am geschlechtergerechten Sprachspagat

Trotzdem ist die Frage berechtigt, warum beim "geschlechtersensiblen" Umformulieren so viel Rosinenpickerei betrieben wird. Eine Antwort gibt Christoph Zimmer in einer sprachtheoretischen Kritik am Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, das in der Formulierung "Geschäftsführer [...] gesucht" eine Geschlechterdiskriminierung entdeckt hatte (Urt. v. 13.09.2011, Az. 17 U 00/10).

Zimmer weist nicht nur nach, an wie vielen Stellen das OLG Karlsruhe in dieser Entscheidung – wohl aus Gründen schlichter Sprachökonomie – selbst gegen die aufgestellten Grundsätze der "geschlechtergerechten" Sprache verstößt, indem es von "Streithelfern" spricht und die "Streithelferinnen" vergisst, "Vollstreckungsgläubiger" erwähnt, nicht aber "Vollstreckungsgläubigerinnen", etc.

Der sprachphilosophisch geschulte Justizkritiker argumentiert grundsätzlich. Das liest sich so: "Da 'Geschäftsführer' alle geschäftsführenden Elemente bereits umfaßt, kann 'Geschäftsführerin' nicht um weiterer Elemente willen sich additiv vermehren. 'Geschäftsführer' und 'Geschäftsführerin' sind extensionsgleiche Prädikate. Suffix ‚...in', ein Morphem, macht Wort 'Geschäftsführer' zum Femininum, nicht Geschäftsführer weiblich."

Juristen sollten andere Probleme haben dürfen

Die Argumentation von Zimmer ist zwar so unjuristisch-undiplomatisch gehalten, dass der Verfasser dieser Zeilen vor Schreck manches Wort mit violettem Glitzerstift übermalte, als Pamphlet gegen die Verschwendung von Gesetzgebungsressourcen durch "geschlechtergerechte" Sprachpflegemaßnahmen hat sie gleichwohl einige Potenz.

Doch um zu der Einsicht zu kommen, dass Juristinnen und Juristen auch in Geschlechterfragen andere Probleme haben, als der Legalbezeichnung von Gewaltverbrechern nachzusinnen, muss man gar nicht den denkbaren Formen nachgehen – modisch zulässig wäre ja viel: "Mörder (m/w)", "Mörder/in", "MörderIn", "Mörder_in", "Mörder*in" (bloß "der oder die Mordende" ist wohl selbst Sprachmode-Freunden aus Zeitgründen zu blöd).

Denn dass es Juristen an echten Mann/Frau-Problemen kaum mangelt, zeigen in der "Zeitschrift für Rechtssoziologie" Gabriele Plickert und Hans Merkens unter  dem Titel "Arbeitszeit und Karriere: Auswirkungen des Geschlechts auf den Berufsalltag junger Anwältinnen und Anwälte". Die US-amerikanische Rechtssoziologin und der deutsche Pädagogikprofessor präsentieren die ersten Ergebnisse einer Studie, für die 1.343 junge Rechtsanwältinnen und -anwälte in Berlin und Frankfurt/Main ausführlich befragt wurden.

"Denkt denn niemand an die Kinder?!"

Zunächst scheinen Plickert/Merkens dabei nur die allgemein bekannten Frontlinien im gesellschaftlichen Geschlechterkampf nachzuzeichnen: Dass Frauen oft nur in Klein- und Kleinstbetrieben in Führungspositionen zu finden sind, während sie in großen Unternehmen an die "gläserne Decke" stoßen, ist ein viel gesungenes Trauerlied aller Branchen und Professionen.

Wenn zum Beispiel Friseurgesellinnen und Mechatronikgesellen unterschiedliche Karrierechancen haben und damit, soziologisierend formuliert, Frauen und Männer durch "typische" Berufswahl dazu beitragen, dass "geschlechterspezifische Unterschiede reproduziert werden", wundert sich niemand. Bemerkenswert ist aber, was Plickert/Merkens für die doch sehr homogene Gruppe junger Anwältinnen und Anwälte zusammentragen.

Denn was Ausbildungsqualität, Ehrgeiz oder Unternehmensgeist betrifft, waren hier zwischen den Geschlechtern keine wesentlichen Unterschiede festzustellen. Bei der Verantwortung für die Kinder scheiden sich dann aber die Wege, wofür die Arbeitszeiten ein wichtiges Indiz geben: "Während Männer ohne Kinder (unabhängig von der Personalverantwortung) wöchentlich im Durchschnitt ebenso lange arbeiten wie Männer mit Kindern (durchschnittlich 55 Stunden), arbeiten Frauen mit Personalverantwortung und ohne Kinder durchschnittlich 52 Stunden pro Woche, Mütter dagegen in derselben Position nur 39 Stunden im Durchschnitt."

Zitiervorschlag

Martin Rath, Recht frech / Eine etwas andere Literaturübersicht: . In: Legal Tribune Online, 25.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9428 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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