Rechtsprobleme des Zölibats: Erzwungene Ehelosigkeit an Universitäten

von Martin Rath

15.03.2015

2/2: Bundesrichter im letzten Zölibatsgefecht

Dass die Modernität Deutschlands damals in England als vorbildlich galt, soll indes nicht davon ablenken, dass der letzte bemerkenswerte Kampf um den Zölibat (außerhalb katholischer Gefilde) vor deutschen Gerichten ausgetragen wurde. Wer Freunde am juristischen Schlammcatchen hat, wird mit zwei Aktenzeichen seine helle Freude erleben.

Mit Urteil vom 10. Mai 1957 erklärte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die sogenannte Zölibatsklausel im Ausbildungsvertrag zwischen einer "Lernpflegerin" und ihrer Arbeitgeberin, einer nordrhein-westfälischen Landesheilanstalt, für unwirksam. Alle Pflegeschülerinnen hatten nach dem Vertrag, ausgestaltet nach einem Erlass des Landessozialministers, in der staatlichen Anstalt zu leben, gemeinsam an Mahlzeiten teilzunehmen – es spielt wieder das Sozialmodell "Kloster" eine Rolle – und sich verpflichten müssen "für den Fall der Eheschließung spätestens mit Ablauf des Monats in dem die Ehe geschlossen wird, auszuscheiden".

Das Aktenzeichen des BAG (1 AZR 259/56) ist aufschlussreich, verrät es doch, dass hier der erste, der sogenannte Präsidentensenat des Gerichts urteilte – der berühmte Hans Carl Nipperdey (1895-1968) legte hier ausführlich seine Vorstellungen von der objektiven, in alle Rechtsbereiche strahlenden Wirkung der Grundrechte dar: "Die Würde des Menschen erfordert es, daß er selbst darüber entscheiden kann, wie er sein Leben gestaltet, insbes. also, ob er heiratet." Dass Nipperdeys Grab nicht alljährlich mit Regenbogenfahnen verziert wird, hat wohl mit dem insgesamt doch sehr konservativen Rollenverständnis des Urteils zu tun: "Es ist allein Sache der Frau (und ihres verständnisvollen Ehemannes), ihre beruflichen Pflichten mit ihrem privaten Leben in Einklang zu bringen. Solange sie dies ermöglicht, darf der Arbeitgeber sich in die privaten Belange der Arbeitnehmerin nicht einmischen."

Heirat erlaubt, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist

Beachtung findet diese Entscheidung heute vor allem, weil sie schön zeigt, wie seinerzeit die Gerichte eine "objektive Wertordnung" des Grundgesetzes über die deutsche Gesellschaft stülpten. Ein Vorgang, der wegen seiner unliberalen Tendenz von Freunden der reinen Freiheit so wenig geschätzt wird wie von Freunden totalitärer Ideologien.

Geradezu lustig wird die Sache allerdings erst, wenn man sie nicht durch die grundrechtsdogmatische Brille, sondern als Kampf um den Zölibat liest: Mit Urteil vom 22. Februar 1962 (Az. II C 145/59) entschied nämlich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) über die Entlassung eines jungen Mannes aus der Bereitschaftspolizei des Saarlands. Den Angehörigen dieser damals wohl noch mehr als heute paramilitärischen Gliederung des Zwergbundeslands war ebenfalls der klösterlich-kasernierte Lebensstil auferlegt, Männern unter 25 Jahren sollte eine Heiratserlaubnis von Gesetzes wegen nach Kräften verweigert werden.

Die Richter des BVerwG sangen nun in ihren Urteil erst ein hohes Lied der Treue des Beamten zu seinem Staat, der ihm die jedenfalls vorübergehende Ehelosigkeit abverlangen könne: "Die Würde des Klägers als Mensch ist schon deshalb nicht angetastet, weil der Kläger von Staats wegen in keinem Augenblick gehindert war, die Ehe einzugehen." Bei Verehelichungsbedürfnissen könne der Mann ja aus dem Dienst scheiden – die Verwaltungsrichter kannten die Funktionstüchtigkeit des "Oxbridge"-Zölibats. Alimentation erkauft Ehelosigkeit offenbar nicht. Nur unwillig billigen sie dem Polizisten zu, dass er nicht allzu gröblich seinem Staate untreu geworden sei: Weil dieser ein Kind gezeugt hatte, das ohne Eheschluss unehelich zur Welt gekommen wäre, verwerfen sie des Polizisten Entlassung aus dem Beamtenverhältnis.

Doch der Zölibat, der sei eine feine Sache, und BVerwG agitierte hier regelrecht in Richtung Nipperdey-Senat des BAG: Dessen Verdikt gegen die Zölibatsklausel bei der Schwesternschülerin sei fragwürdig gewesen, weil durch "die Kündigungsklausel der volle Einsatz der Pflegerin im Dienst an Geisteskranken sichergestellt werden sollte". Ein durch den Staat vermittelter zölibatärer Liebes- oder paramilitärischer Dienst müsse grundrechtskonform möglich sein, darf man wohl schließen.

Doch so schwer "abendländisch", wie das BVerwG urteilte – die Familie war ihm "Keimzelle und Ordnungsfaktor der Gemeinschaft" - an seinem Leitsatz könnten sich Rechtsordnungen, die am Zölibat für ihr Personal festhalten, gut orientieren. Schließt ein Zölibatsverpflichteter "ohne Erlaubnis mit der von ihm geschwängerten Frau die Ehe, so verletzt er nicht 'gröblich' die ihm obliegenden Pflichten."

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsprobleme des Zölibats: . In: Legal Tribune Online, 15.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14951 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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