Von der Frau, die ihre Scheinehe mit einem Briten verlassen will, bis zum Polizisten mit drei Ehefrauen: Die Justiz war in den 1950er Jahren mit erstaunlich vielen Rechtsproblemen zur Doppelehe befasst.
Es gibt eine Stelle in Billy Wilders (1906–2002) berühmten Justizdrama "Zeugin der Anklage" aus dem Jahr 1957, die wegen ihres moralisierenden Zeitaromas ein wenig die Stirn runzeln lässt.
Die Handlung dürfte bekannt sein: Wegen des Mordes an einer ihm zugeneigten vermögenden Witwe angeklagt ist ein leichtlebiger Mann in den besten Jahren, gespielt von Tyrone Power (1914–1958). Die Aussicht auf eine reiche Erbschaft gibt ein plausibles Motiv ab, die Beweislage gegen ihn ist erdrückend.
Zur bösen Überraschung seines Strafverteidigers ruft die Anklage auch die vermeintliche Gattin – gespielt von Marlene Dietrich (1901–1992) – in den Zeugenstand. An sich ist sie als Ehefrau nicht zur Zeugin qualifiziert, doch gesteht sie, bereits verheiratet gewesen zu sein, als der Angeklagte – Soldat im besetzten Deutschland – sie zur Frau genommen hatte.
Neben seiner Belehrung, dass für Meineid "in diesem Lande" hohe Strafen drohten, äußert sich der Richter der Zeugin gegenüber auch zu ihrer skandalösen Bigamie, habe sie sich doch damit die Gastfreundschaft ihres Gatten und des Vereinigten Königreichs erschlichen. Natürlich hat dies im Film auch einen komödiantischen Zug, die Egozentrik des britischen Patriotismus wird hier karikiert. Und doch hinterlässt die knorrige Belehrung zur Unmoral der Zeugin einen merkwürdigen Beigeschmack: Warum nur hält der Richter sich damit auf?
Doppelehe mit einem Briten – nach der Verfolgung durch die Nationalsozialisten
Ein Szenenwechsel, zur gleichen Zeit in Deutschland: Mit Urteil vom 11. Juni 1958 entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in der Sache einer Klägerin, die sich von ihrem britischen Ehegatten auch amtlich trennen wollte, unter anderem mit dem Argument, es liege eine nichtige Doppelehe vor (Az. IV ZR 4/58).
Im Jahr 1947 hatte die Klägerin einen Weg gesucht, nach Großbritannien einreisen und dort bleiben zu dürfen: Ihre schwer erkrankte Mutter hatte das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt und war zur Pflege nach England gebracht worden. Das Visum der Tochter blieb auf vier Monate beschränkt, zu kurz, um der Mutter beizustehen.
Während sie selbst den Zweiten Weltkrieg im besetzten Belgien überlebt hatte, war ihr erster Mann verhaftet und wahrscheinlich in Auschwitz ermordet worden. Vor der amtlichen Todeserklärung hatte sie dann einen britischen Staatsangehörigen geheiratet, um bei ihrer Mutter in England bleiben zu können, auch habe ihr die Ehe geholfen, in Großbritannien nicht wegen ihres deutsch klingenden Namens angefeindet zu werden.
Als jüdischer Flüchtling in Belgien hatte die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, gemäß Artikel 116 Abs. 2 Grundgesetz (GG) nach 1949 zurückerlangt. Weil diese Norm vorgibt, dass die Wiederherstellung der deutschen Staatsangehörigkeit zurückwirke, stellte sich hier unter anderem die Frage, ob dies auch für die Würdigung ihrer Scheinehe mit ihrem britischen Helfer gelten sollte, was der BGH verneinte.
Zu einer endgültigen Klärung des verwickelten Falls kam der BGH jedoch nicht, weil das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf zunächst zu prüfen hatte, ob nicht auch belgisches Recht einschlägig war, denn die Parteien des Verfahrens hatten 1947 die Ehe dort geschlossen.
Was der Bundesdisziplinarhof zu ehebrecherische Beziehungen eines Polizisten sagte
Ein weiterer Szenenwechsel: Zwei Jahre zuvor, ein anderes Gericht, eine andere Tonlage.
Mit Urteil vom 5. Juni 1956 bestätigte der Bundesdisziplinarhof die Entscheidung der Vorinstanz, einen Polizeibeamten dauerhaft aus dem Dienst zu entfernen und kürzte seinen Anspruch auf Übergangsgeld.
Der Beschuldigte in diesem Disziplinarverfahren war 1927 in den Polizeidienst eingetreten, war seit dem 1. April 1939 Beamter auf Lebenszeit. Nach der Rückkehr aus dem Kriegsdienst bemühte er sich um Wiedereinstellung, was ihm schon 1945 im späteren Land Schleswig-Holstein gelang. Jedoch war der Vorgang fehlerhaft, sodass ihm ein Status nach dem Gesetz zu Artikel 131 GG verblieb. Seine frühere Dienststelle in Schneidemühl bestand nicht mehr, die Stadt lag nun in Polen. Das 131er-Gesetz sah aber eine Wiederverwendung vor, soweit Planstellen freiwurden, und eine beamtenrechtliche Basisbesoldung, bis das der Fall war.
Für den Beschuldigten "im besten Mannesalter" von 46 Jahren sollte es nach dem Urteil des Bundesdisziplinarhofes dazu aber nicht mehr kommen: Am 22. Dezember 1945 hatte er – wohl in dem Glauben, gut versorgt im Polizeidienst alt werden zu können – geheiratet, obwohl seine erste Ehe aus dem Jahr 1934 noch bestand. Während des Krieges unterhielt er außereheliche Beziehungen zu zwei anderen Frauen, darunter seine spätere dritte Gattin, und zeugte jeweils ein Kind mit ihnen.
Um aber zunächst 1945 die zweite Ehe schließen zu können, erklärte er vor dem Standesbeamten, verwitwet zu sein: Die erste Gattin sei 1943 bei einem Bombenangriff auf Schwerin ums Leben gekommen. Er legte dazu obskure Papiere vor, erfuhr aber von ihrem Überleben und betrieb dann 1947 erfolgreich die Scheidung.
Die Verbüßung einer achtmonatigen Gefängnisstrafe wegen der falschen eidesstattlichen Versicherung vor der zweiten Ehe und wegen Doppelehe, § 171 Strafgesetzbuch (StGB) a.F., war ihm auf der Grundlage des Straffreiheitsgesetzes vom 31. Dezember 1949 zwar bedingt erlassen worden, der Sachverhalt gab aber Grund für seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
Erfolglos argumentierte er damit, das Chaos von Krieg und Nachkriegszeit hätten ihn zur Tat getrieben. Doch würdigte der Bundesdisziplinarhof seine Doppelehe wie folgt:
"Zu Unrecht glaubt der Beschuldigte, sich insoweit auf die verworrenen Zeitverhältnisse berufen zu dürfen. Zwar pflegt der Senat in ständiger Rechtsprechung den nach dem Zusammenbruch eingetretenen Verhältnissen insoweit Rechnung zu tragen, als sie sich in einer chaotischen Wirtschaftslage und in einer allgemeinen Zersetzung des Verwaltungsapparates äußerten. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um Zusammenhänge, die auch damals noch von der Bevölkerung geachtet wurden. Auf familienrechtlichen Bindungen beruhte in jener Zeit der Rest des gesellschaftlichen Gefüges des deutschen Volkes."
Dann zog das Gericht aus den ehebrecherischen Beziehungen des Beschuldigen auch noch wortreich den Schluss, dass auch diese "Verfehlung als bei ihm charakterlich verwurzelt" angesehen werden müsse.
Ein Kriegsbeschädigter, "durch tragische Umstände in Schuld verstrickt", so der BGH
Ein zweiter Szenenwechsel: Beginn der 1950er Jahre, ein anderer Verfahrenszweig. Mit der Behauptung, allein die familienrechtlichen Bindungen seien 1945 in Deutschland noch als soziale Ordnung im Wesentlichen intakt geblieben, stand der Bundesdisziplinarhof nicht allein – doch führte es schon früh in Probleme, die Heiligkeit der Ehe zu beschwören, vor allem, wenn das Gericht faktisch zwei zur Auswahl hatte.
Mit Urteil vom 12. Juli 1951 (Az. IV ZR 28/50) entschied der BGH in folgender Sache: Während eines Fronturlaubs hatte der spätere Kläger im Juli 1943 die auf Scheidung Beklagte geheiratet, die er nur im April/Mai 1944 während eines dreiwöchigen Urlaubs noch einmal sah. Nach Kriegsende hörte er, dass ihr Dorf der Schauplatz schwerer Kämpfe gewesen sei, kaum jemand überlebt habe.
Im August 1946 heiratete er eine andere Frau, die im Dezember des gleichen Jahres ein gemeinsames Kind zur Welt brachte. 1947 wurde er zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt, weil er bei der zweiten Ehe die falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte, ledig zu sein. Zu einer Verurteilung wegen Doppelehe kam es nicht, weil das Gericht keine hinreichenden Anhaltspunkte für den Vorsatz sah.
Im Oktober 1947 begegnete ihm schließlich die erste Ehefrau wieder, die zweite Ehe wurde 1948 wegen der noch bestehenden ersten für nichtig erklärt. Dem Begehren des Klägers, die Scheidung von seiner ersten Gattin zu erreichen, weil im Krieg praktisch keine eheliche Gemeinschaft zustande gekommen war – sie hatte weiter bei ihren Eltern gewohnt, er war wieder an die Front geschickt worden – widersprach die Beklagte unter anderem mit dem Argument, sie fühle sich ihm nach wie vor verbunden und wolle die eheliche Gemeinschaft fortsetzen.
Das war durchaus ein valider Grund, denn der BGH beschwor seinerzeit die Heiligkeit der Ehe in markigen Worten. Es sei "die Ehe die engste menschliche Lebensgemeinschaft. Sie wird durch das feierliche Ehegelöbnis begründet. Zu ihrem Wesen gehört weiter, dass es auch zur Erfüllung dieses Gelöbnisses, also zur Verwirklichung der gelobten Lebensgemeinschaft kommt."
Dass die beiden Eheleute in den Jahren 1943 und 1944 kaum Gelegenheit gehabt hatten, etwas miteinander anzufangen, sollte aber dennoch keine Rolle spielen, denn es bestimme "das feierliche Ehegelöbnis das Wesen der Ehe und die Kraft ihrer sittlichen Bindung" mit: "Wenn das Ehegelöbnis in einem Ehegatten innerlich verwurzelt ist und er sich seinem Versprechen ernstlich verpflichtet fühlt, kann die Ehe nicht deswegen allein als sittlich untragbar bezeichnet werden, weil der andere Ehegatte aus ihr fortstrebt und eine längere äußere Lebensgemeinschaft bisher nicht aufgenommen werden konnte."
Konkret folgte der BGH aber der Diagnose der Vorinstanz, dass in dieser Ehe noch "keine tiefen, inneren Werte geschaffen" worden seien, "die durch eine Lösung der Ehe vernichtet würden".
In der Gesamtwürdigung, ob das an sich unverbrüchliche Ehegelöbnis gelöst werden dürfe, sei schließlich zu berücksichtigen, dass sich zwar "ein Urteil, durch das ein Ehegatte gegen seinen Willen an einer schuldhaft von ihm zerrütteten Ehe festgehalten wird, nicht selten wie eine Strafe für ihn auswirken" werde. Diese strafende Wirkung dürfe jedoch "mit der Aufrechterhaltung der Ehe nicht bezweckt werden".
Die im Jahr 1946 geschlossene Doppelehe sei nun deshalb kein Grund, ihn in die erste Ehe gleichsam zurück zu zwingen, weil er sie "nicht aus verantwortungslosem Leichtsinn und dem Streben nach sinnlicher Befriedigung" eingegangen sei, sondern weil er als Kriegsbeschädigter die Nähe und Hilfe seiner zweiten Frau gesucht habe.
Der Scheidungskläger sei hier "durch tragische Umstände in Schuld verstrickt worden" – die Schuld seiner zweiten, für nichtig erklärten Ehe.
Ambrose Bierce – die Ehe als Strafe?
Vom amerikanischen Schriftsteller und Journalisten Ambrose Bierce (1842–1914), einer düsteren Seele, stammt die böse Definition: "Bigamie, die – Geschmacksverwirrung, für die künftige Weisheit eine Strafe namens Trigamie verhängen wird".
Dass die Ehe keine Strafe sein soll, entschied der BGH – wie zu zeigen war – schon im Jahr 1951, also in einer Zeit, als er um pathetische Worte für diese historische Einrichtung nie verlegen war, die Immanuel Kant (1724–1804) ganz ohne Pathos als "die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften" bezeichnet hatte.
Überholt ist also das eine wie das andere, die Frage, ob das Befremden über historische Wertungen motiviert, kritisch mit jenen der Gegenwart umzugehen, bleibt.
Billy Wilders "Zeugin der Anklage" und wahre Geschichten: . In: Legal Tribune Online, 05.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50977 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag