Bereits millionenfach gestreamt: Die Netflix-Doku "Big Mäck: Gangster und Gold" zeigt eine Verbindung zweier bundesweit beachteter Raubüberfälle. Im Mittelpunkt steht das Justizopfer Donald Stellwag. Sehenswert, wie Anis Ben-Rhouma findet.
Ein Mensch wird für viele Jahre ins Gefängnis gesteckt. Tage nach seiner Freilassung wird klar, dass das Verbrechen, für das er verurteilt wurde, jemand anders begangen hat. Gibt ihm dies nun ein irgendwie geartetes moralisches Recht, per Straftat das ihm widerfahrene Unrecht "auszugleichen"?
Mit dieser Frage lässt einen die neue Netflix-Dokumentation "Big Mäck: Gangster und Gold“ grübelnd zurück. Im Mittelpunkt des Films von Fabienne Hurst und Andreas Spinrath steht Donald Stellwag (65), der im Kontext von zwei aufsehenerregenden Kriminalfällen dargestellt wird. Beim ersten wurde Stellwag zu Unrecht aufgrund eines fehlerhaften Gutachtens verurteilt. Beim zweiten erklärte ihn ein Gutachter für verhandlungs- und haftunfähig.
Neun Jahre unschuldig in Haft
Zur Chronologie: 1991 kam es in Nürnberg zu einem Banküberfall mit Geiselnahme. Da die bzw. der Täter nicht ausfindig gemacht werden konnte, gelangte der Fall im April 1992 in die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“. Und siehe da, ein Polizeibeamter meinte auf dem ausgestrahlten Foto einer Überwachungskamera Stellwag erkannt zu haben. Der damals knapp 30jährige wurde angeklagt und 1994 zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Unter Anrechnung der U-Haft kam er 2001 frei.
Ausschlaggebend für seine Verurteilung war dabei vor allem ein Gutachten, das auch eine prominente Rolle in dem nun erschienen Film einnimmt. So gelangte der Sachverständige zur Überzeugung, Stellwag könnte anhand des Ohres identifiziert werden. Jener Gutachter wird später von Stellwag verklagt. Mit Erfolg. Denn Stellwag war es nicht.
Während Stellwags Haft, fand ein ganz ähnlicher Raubüberfall mit einem ganz ähnlich aussehenden Täter statt. Gefasst wurde dieser "Doppelgänger" erst, nachdem Stellwag bereit aus der Haft entlassen war. Und der Mann gab zu, dass er auch den Raubüberfall 1991 zu verantworten hatte.
Stellwag entschied sich daraufhin, seine Geschichte als Justizopfer zu vermarkten, sogar einen Sponsoring-Deal mit einer Brauerei kam zustande. "Big Mäck: Gangster und Gold"“ zeigt diverse seiner Auftritte in Talkshows. In der Sendung von Johannes B. Kerner trägt Stellwag ein Cap mit dem Brauerei-Emblem.
Bis hierhin wirkt die Geschichte wie eine ganz besonders tragische Story eines Justizopfers, das einfach Pech hatte. Doch dann kommt der zweite Teil. Und den kommentierte die Süddeutsche Zeitung seinerzeit so: "Sorry, das klingt jetzt aber wirklich zu abgedreht."
Wo ist das Rheingold?
Bei dem Raubüberfall eines Goldtransporters Ende 2009 – auch in der Nähe von Nürnberg – war der bekannte Gangsterrapper Xatar, mit bürgerlichem Namen Giware Hajabi, einer der später verurteilten Haupttäter.
Der Überfall steht auch im Mittelpunkt des Kinofilms "Rheingold" (2022) des renommierten Regisseurs Fatih Akin. In "Big Mäck: Gangster und Gold"“ wiederum stellt dieser zweite Fall quasi den zweiten Strang der Geschichte um Donald Stellwag dar. Was war passiert?
Auf einer Autobahn in der Nähe von Nürnberg transportierte Ende 2009 ein Goldtransporter eines Goldhändlers Gold im Wert von 1,7 Mio. Euro und wurde von einem vermeintlichen Polizeifahrzeug zum Hinterherfahren aufgefordert. Der Wagen wurde unter einer Brücke einer Nebenstraße zum Anhalten gebracht. Als Polizisten getarnte Männer nahmen die beiden Fahrer des Geldtransporters in "Gewahrsam". Ein Lieferwagen stoppte hinter dem Geldtransporter. Aus diesem stiegen weitere Komplizen aus, nahmen das Gold aus dem Transporter und packten es in ihr Fahrzeug. Die als Polizisten getarnten Männer nahmen die Fahrer des Goldtransporters wiederum mit in einen Wald und setzten sie dort gefesselt aus.
Einer der Täter war Rapper Xatar. Er und seine Mittäter setzten sich ins Ausland ab, wurden jedoch irgendwann von den deutschen Behörden aufgespürt und nach Deutschland ausgeliefert. Der folgende Strafprozess brachte für die beteiligten Männer mehrjährige Haftstrafen, aber das Gold ist verschwunden. Bis heute.
"Wir nannten ihn den Großen"
Und hier kommt wieder Donald Stellwag ins Spiel. In seinem autobiographischen Buch "Alles oder nix. Bei uns sagt man, die Welt gehört Dir.", auf dem der Film "Rheingold" basiert und das auch in "Big Mäck" ausführlich zitiert wird, sagt Xatar, dass Stellwag quasi so etwas wie der Auftraggeber des Raubüberfalls gewesen sei. Der Rapper schreibt, dass er Stellwags Nummer von einem Freund bekommen habe: "Wir nannten ihn – Stellwag – nur den Großen.“ Heißt: Eine echte deutsche "Kartoffel“, wie Biodeutsche im migrantisch geprägten Gangster-Rap-Milieu genannt werden, soll der große Drahtzieher dieses Jahrhundert-Coups gewesen sein?
Stellwag selbst streitet das in der Doku vehement ab. Zuvor hatte er auch gegenüber der SZ erklärt: "Immer dasselbe: Der Dicke war's". Allerdings räumte er dann doch ein, bestimmte Kontakte für Xatar und Co. vermittelt zu haben. Ohne aber zu ahnen, dass "die Herren Schlimmes im Schilde führten". In Xatars Buch findet sich eine andere Version. "Der Große wusste, wann diese Transporte stattfinden. Und wollte mir diese Informationen verkaufen.“ Stellwag habe ihm einen Deal angeboten: "Ein sauberes Verbrechen ohne echte Verlierer. Ich gab dem Großen die Hand.“
Wird Stellwag erneut eines Verbrechens bezichtigt, dass er nicht begangen hat? In "Big Mäck" ist eine Schlüsselszene der Moment, in dem ein Gutachter, der Stellwags Verhandlungs- und Haftfähigkeit bewerten soll – diesmal im Fall des Goldraubs. Der Gutachter – tätig am selben Gericht wie einst beim Banküberfall – sieht die Akte und bemerkt, dass das eben jener Stellwag ist, der jahrelang unschuldig im Gefängnis war. Er erklärt ihn daraufhin für verhandlungs- und haftunfähig. Sogar Stellwags damaliger Rechtsanwalt zeigt sich überrascht und wird im Film mit den Worten zitiert, so was gäbe es eigentlich gar nicht im deutschen Rechtssystem, das sei quasi ein "Persilschein".
Justizopfer heute ein Pflegefall
Schuldig oder nicht: "Big Mäck: Gangster und Gold" ist jedenfalls eine gelungene und spannende Dokumentation in bester Netflix-Qualität geworden und steht amerikanisch geprägten True Crime-Stories in wenig nach.
Rapper Xatar, der 2011 wegen schweren Raubes, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu acht Jahren Haft verurteilt aber bereits 2014 vorzeitig entlassen wurde, hat seine Tat offenbar gut weggesteckt: Den Rheingold-Fall hat er als echte Gangster-Story in seinen Songs und darüber hinaus vermarktet. Der Mann ist mittlerweile ein vielfach aktiver Geschäftsmann, hat eine eigene Köfte-Marke herausgebracht und ist Music-Label-Boss.
Und Donald Stellwag? Der wird in der Doku als zu pflegender, kranker Mensch dargestellt, der die großen Verbrechen, die ihm angelastet werden, nie begangen haben will. Am Ende des Films klingelt beim bettlägerigen Stellwag das Telefon: Der Anrufer möchte eine größere Menge des Champagners Dom Perignon kaufen. Stellwag sagt zu, dass er sich schnell darum kümmern werde.
Big Mäck: Gangster und Gold, Dokumentarfilm von Fabienne Hurst und Andreas Spinrath. Erschienen bei Netflix, Januar 2023.
Autor Anis Ben-Rhouma ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Gewerkschaftssekretär bei der IG BCE im Bezirk Berlin-Mark Brandenburg. Er betreibt außerdem den Kulturblog: www.ZuArchitekturTanzen.de
True Crime-Doku "Big Mäck: Gangster und Gold": . In: Legal Tribune Online, 11.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51040 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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