499 Jahre deutsches Reinheitsgebot: Die langlebigste Geschmacksregel

von Patrick Buse, LL.M.

23.04.2015

2/2: Der Brauer und seine Berufsfreiheit

Aber auch für deutsche Brauer gibt es inzwischen weniger strenge Regelungen. So entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) 2005, dass es mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit nicht vereinbar ist, die Herstellung von Bier ausnahmslos dem Reinheitsgebot zu unterwerfen (Urt. v. 24.02.2005, Az. 3 C 5.04).

Eine brandenburgische Brauerei wollte ihrem untergärigen Schwarzbier nach der Filtrierung Invertzuckersirup zusetzen. Zur dieser Zeit fand sich das Reinheitsgebot in § 9 des Vorläufigen Biergesetzes (VorlBierG). Danach war auch vorgesehen, besondere Biere unter Abweichung vom Reinheitsgebot zuzulassen. Diese Zulassung wurde der Brauerei jedoch versagt mit der Begründung, man habe lebensmittelrechtliche Bedenken, dass Ausnahmegenehmigungen auch bei Zuckerzusätzen erteilt werden könnten. Man fürchtete, dass diese als Malzersatz dienen könnten.

Allerdings ermöglichte das Biersteuergesetz (BierStG) auch die Herstellung von Spezialitäten. Es definierte Bier weiter als das Reinheitsgebot. Bier musste nach dem BierStG nach seinem Gesamtcharakter Bier bleiben, also in der Farbe dem Bier gleichen, im Geruch und im Geschmack eine bierige Note haben und durch die Schaumbildung Biercharakter haben.

BVerwG: Auch Deutsche überleben gezuckertes Bier

Das BVerwG maß die Verfassungsmäßigkeit des Reinheitsgebots aus dem VorlBierG an Art. 12 GG. Als Berufsausübungsregel sei die Norm nicht wegen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt, denn die damals 489 Jahre alte Regel diene heutzutage nicht mehr diesem Zweck. Auch Biertrinker außerhalb Deutschlands überstünden den Konsum mit Zusatzstoffen versetzter oder behandelter Biere wohlbehalten. Schließlich wurde in diesem konkreten Fall der verwendete Invertzucker nicht als Malzersatzstoff genutzt.

Das Reinheitsgebot finde seine Daseinsberechtigung vielmehr in einer kulturellen Tradition, der Braukunst, so die Leipziger Richter. Bier, das nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut ist, sei nicht zwangsläufig minderwertig oder gar gefährlich.

Trotzdem könne das Reinheitsgebot auch zur Gewährleistung bestimmter Produktionsstandards dienen, erkannte das BVerwG an. Denn die Verfahren der Bierherstellung nach dem Reinheitsgebot sind 15 bis 20 Prozent teurer als sonstige Brauverfahren. Hier böten jedoch lebensmittelrechtliche Kennzeichnungspflichten eines Bieres, welches nicht dem Reinheitsgebot entspricht, hinreichende Transparenz und stellten somit ein milderes Mittel dar als das Verbot gezuckerter Biere. Da also die vorgebrachten Gründe gegen die Zulassung des Zucker-Bieres nicht griffen, war das Ermessen der Behörde angesichts der Berufsfreiheit auf Null reduziert und die Herstellungsgenehmigung zu erteilen.

Das Reinheitsgebot bleibt zumindest ein Qualitätsstandard

BierStG, BrauStG, VorlBierG, BierVO - die Zahl der Statuten über Bier ist lang. Viele von ihnen atmen den Geist des bald 500 Jahre alten Reinheitsgebots.

Dass es eines Tages durch höchste Gerichte auf seine Vereinbarkeit mit grundrechtlichen Gewährleistungen und dem europäischen Binnenmarkt hin überprüft werden würde, hätten sich seine Schöpfer wohl auch nach dem Genuss größerer Mengen des Gerstensaftes nicht träumen lassen.

Dabei hat sich das Reinheitsgebot über die Jahrhunderte als erstaunlich gerichtsfest erwiesen. Trotz der genannten Einschränkungen besteht es zumindest in seinem Kern fort. Und trotz der zuletzt stärker gewordenen Konkurrenz kleinerer Brauereien insbesondere aus den USA erfreuen sich deutsche Biere auch nach beinahe 500 Jahren Reinheitsgebot noch großer Beliebtheit. Welche andere Geschmacksregel könnte das schon von sich sagen?

Zitiervorschlag

Patrick Buse, 499 Jahre deutsches Reinheitsgebot: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15327 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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