Arbeitslosen-Tombola: Eine einmalige Chance

von Benjamin Lück

26.01.2013

Plüschtiere, Zimmerpflanzen oder Gutscheine als Gewinne? Langweilig! Auf einem Weihnachtsmarkt in Rheinland-Pfalz gab es vergangenen Dezember bei einer Verlosung Preise der besonderen Art zu gewinnen. Welche das waren und warum er sich dabei schlagartig an eine der ersten Vorlesungen seines Jurastudiums erinnert fühlte, verrät Benjamin Lück.

Vergangenes Wochenende berichtete Spiegel Online über ein Ereignis, das sich in einem rechtsrheinischen Städtchen zwischen Neuwied und Koblenz in der Adventszeit zugetragen haben soll. Ein privater Bildungsträger soll in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter auf dem örtlichen Weihnachtsmarkt die Dienste seiner arbeitslosen Schützlinge verlost haben. Es heißt, interessierte Unternehmen hätten die Reinigung von Fußböden, Fenstern oder Fuhrparks gewinnen können. Alternativ im Angebot: "Lager aufräumen". Bei der Ziehung der Lose durften die "Preise" dann selbst auf die Bühne treten.

Geld habe es für die verlosten Arbeitslosen nicht gegeben, stattdessen aber die einmalige Chance, sich beim Abarbeiten der Preise im persönlichen Kontakt zu bewähren. Alles in allem ein "besonders innovatives Vorgehen".

Eine Bedrohung für die Menschenwürde!

Innovativ? Oder doch eher "menschenverachtend und entwürdigend"? So bewertete zumindest ein Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) die Tombola gegenüber Spiegel Online. Die Auktion stehe sinnbildlich für eine "Verrohung der Sitten".

Der zitierte Vertreter des DGB scheint in der Vorlesung Staatsrecht II jedenfalls besser aufgepasst zu haben, als sein Kollege beim Jobcenter, wenn die beiden denn überhaupt Juristen sind. Denn damals gehörte mit Sicherheit eine Entscheidung des Verwaltungsgericht (VG) Neustadt von 1992 zur Pflichtlektüre:

Der Betreiber einer Diskothek – übrigens ebenfalls in Rheinland-Pfalz – hatte seinen Gästen ein ganz besonderes Programm zu bieten: "Die neue Sensation aus den USA, Zwergenweitwurf, zuerst bei Gottschalk, jetzt live in Eurer Disko!" Eine demütigende und gefährliche Veranstaltung, lautete das Verdikt des Europäischen Parlaments. "Derbe Volksbelustigung", fügten die Verwaltungsrichter dem hinzu, nachdem einer der Zwerge gerichtlich gegen die behördliche Untersagung der Veranstaltung vorgegangen war, weil er seine berufliche Existenz gefährdet sah (Beschl. v. 21. 05. 1992, Az. 7 L 1271/92). Den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz lehnte das VG dementsprechend ab. Zu einer Hauptsache kam es nie.

Bewahret die guten Sitten!

Zwar besaß der Diskothekenbetreiber seit 1989 eine Erlaubnis zur Ausstellung von Personen nach § 33a Gewerbeordnung, also für solche Vorführungen, bei denen Menschen in ihrer körperlichen Erscheinung Gegenstand der Beschauung sind, an dieser Beschauung aber aktiv mitwirken. Zwergenweitwurf sei von dieser Erlaubnis aber keinesfalls umfasst, weil die Veranstaltung – ebenso wie eine Peep-Show – die Würde des Menschen verletze und damit gegen die guten Sitten verstoße.

Die kleinwüchsigen Menschen würden nämlich auf ihre Eigenschaft als Sportgerät reduziert und damit zum Objekt degradiert. Der Staat aber habe die Aufgabe, den Einzelnen vor Angriffen auf seine Würde durch Dritte zu schützen und ihn vor sozialer Missachtung zu bewahren.

Zurück zum Weihnachtsmarktstand des privaten Bildungsträgers: Nach Angaben von Spiegel Online durften einige der Arbeitslosen die Ziehung der Lose mit einer weihnachtlichen Aufführung untermalen. In gewisser Weise waren sie also aktiv an ihrer Beschauung durch die interessierten Unternehmen beteiligt. Im Grunde standen sie aber als Preis zur Verfügung. Ihre Losnummer entsprach einer Dienstleistung. Über das Ergebnis entschied der Zufall. So waren sie eher Objekt als Mensch.

Und eine Gefahr für die öffentliche Ordnung sowieso!

Der Zwerg hatte 1992 vorgetragen, er lasse sich doch freiwillig werfen. Das VG wollte es darauf aber gar nicht erst ankommen lassen. Die Würde des Menschen stehe schließlich nicht zur Disposition. Der kleinwüchsige Mensch durfte also nicht auf seine Würde verzichten, durften es zwanzig Jahre später die Arbeitslosen? Auch einer der Teilnehmer an der Arbeitslosen-Tombola soll diese dem Vernehmen nach als Chance begriffen und nicht als menschenverachtend empfunden haben.

An dieser Stelle wird es kompliziert. Nehmen wir daher der Einfachheit halber an, die Teilnahme an Weitwurf und Verlosung sei unabhängig von der Frage der Freiwilligkeit tatsächlich entwürdigend.

Da denkt der gewiefte Jurastudent doch sofort an eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, an eine Bedrohung für die unerlässlichen Voraussetzungen eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens. Ob Zwergenweitwurf oder vorweihnachtliche Arbeitslosen-Tombola – die Polizei muss ran!

Im rechtsrheinischen Städtchen zwischen Neuwied und Koblenz blieben die Ordnungsbehörden aber gelassen. Vielleicht lag das daran, dass der Bildungsträger nicht zu viel Aufregung verursachen wollte und folgende Werbung nicht geschaltet hatte: "Die neue Sensation aus Südeuropa, Arbeitslose, zuerst bei Lanz, jetzt live auf Eurem Weihnachtsmarkt!"

Benjamin Lück ist Praktikant in der Redaktion von Legal Tribune ONLINE. Er legt Wert darauf festzustellen, dass er der LTO zugelost wurde.

Zitiervorschlag

Arbeitslosen-Tombola: . In: Legal Tribune Online, 26.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8044 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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