Während die politische Justiz der antikommunistischen McCarthy-Ära in den USA einen fast popkulturellen Status hat, ist ein Mammut-Prozess aus dem Jahr 1944 völlig in Vergessenheit geraten. Kein Wunder: Er galt der "braunen Gefahr".
Mitch McConnell (1942–), der Mehrheitsführer der Republikanischen Partei im US-Senat, äußerte sich dieser Tage verärgert über den Versuch, ihm im Streit um russische Einflussnahme auf Wahlen in seinem Land den polemischen Rufnamen "Moscow Mitch" anzuhängen.
Dieser Vorgang wäre hier nicht weiter von Interesse, zeigte McConnells Replik – er sprach von einem linken "McCarthyismus" – nicht, wie selbstverständlich in den USA der Kampf gegen "unamerikanische Umtriebe" mit der Verfolgung linksradikaler "Gefährder" durch Gremien des Parlaments und der Justiz in den 1940er und 1950er Jahren in Verbindung gebracht wird.
Das deutet auf eine gestörte Gedächtnisleistung hin. Denn der mit 30 Angeklagten größte und seinerzeit mit starkem öffentlichen Interesse betriebene Strafprozess wegen "sedition" – zu übersetzen vielleicht als "Aufruhrhetze" – fand zwischen April und Dezember 1944 nicht gegen die "rote", sondern gegen die "braune Gefahr" statt – die Strafsache "United States v. McWilliams".
Lautstarke Kritik an US-Staatsgewalt wird juristisch heikel
Der juristische und politische Hintergrund will grob umrissen sein.
Durch Gesetz vom 29. Juni 1940, den sogenannten "Smith Act", verbot der US-Bundesgesetzgeber "gewisse subversive Tätigkeiten", erweiterte die Vorkehrungen zur Ausweisung von Ausländern und regelte, das von nun an nahezu alle in die USA einreisenden Ausländer durch Abnahme der Fingerabdrücke erkennungsdienstlich zu behandeln seien.
Eine solche Gesetzgebung war nicht neu. Bereits im und nach dem Ersten Weltkrieg hatte der Kongress eine Kombination aus rechtlichen Handhaben gegen Ausländer und politisch obskure Inländer ins Gesetzblatt gebracht.
Nunmehr, anderthalb Jahre vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, erweiterte der "Smith Act" dieses Repertoire hinsichtlich der "gewissen subversiven Tätigkeiten" auch mit Blick auf vergleichbare "Aufruhrhetze"-Gesetze in den US-Bundesstaaten.
Mit Geldstrafe bis zu – damals sehr beachtlichen – 10.000 Dollar oder mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren sowie mit einem fünfjährigen Beschäftigungsverbot in allen US-Bundesbehörden bedrohte das Gesetz jeden, der mit der Absicht "die Loyalität, Moral oder Disziplin" der US-Streitkräfte "zu stören, zu beeinträchtigen oder zu beeinflussen" sich anschickte, entweder einen Angehörigen der Streitkräfte "zu beraten, zu drängen oder in irgendeiner Weise Ungehorsam, Illoyalität, Meuterei oder Pflichtverweigerung zu verursachen" oder hierzu allgemein "irgendwelche schriftlichen oder gedruckten Materialien" verbreitete.
Mit der gleichen Strafe bedrohte das Gesetz jeden, der die "Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit oder Wünschbarkeit" des amerikanischen Staates durch Gewalt anzugreifen "befürwortet, unterstützt, berät oder lehrt".
Damit sahen sich christliche Pazifisten, die eine Verweigerung des Militärdienstes allzu lautstark propagierten, ebenso von Strafe bedroht wie sozialistische oder faschistische Gegner der US-Staatsordnung – soweit sie denn hinreichend ausfällig geworden waren. Natürlich fanden sich im ideologischen Durcheinander der USA auch Abmischungen aus all dem, gepredigt etwa von antikapitalistischen irischen Priestern im Radio.
Prozess wegen "brauner Gefahr" in den USA
Für rechtshistorisch interessierte Deutsche klingt bei dieser amerikanischen Regelung der Tatbestand der "Wehrkraftzersetzung", § 5 Kriegssonderstrafrechtsverordnung, im Ohr nach. Semantische Ähnlichkeiten sind zwar zu finden. Doch sollten die im Dienst einer liberalen Gesellschaft stehenden US-Gerichte und -Anwälte einen ganz anderen Leistungsbeweis liefern als die Terrorjustiz des NS-Staates.
Nach Inkrafttreten des "Smith Acts" waren Ermittlungen gegen diverse potenziell subversive Kreise aufgenommen worden. Das umfangreichste Verfahren betraf seit April 1944 die "braune Gefahr".
Zur Anklage gebracht wurde eine durchaus vielfältige rechtsextreme und/oder potenziell dem nationalsozialistischen Gegner hörige Klientel, wie der Blick auf einige der 30 Angeklagten in der Strafsache "United States v. McWilliams" zeigt.
Etliche der Angeklagten stammten aus dem Milieu einer extremistischen politischen Agitation, die in den späten 1920er und in den 1930er Jahren auch in den USA weite Verbreitung gefunden hatte.
So erhielt die Strafsache ihre amtliche Bezeichnung nach Joseph "Joe" McWilliams (1904–1996), einem reisenden Agitator, der sich auch als Kongresskandidat für die Republikanische sowie für eine nationalsozialistische "American Destiny Party" versuchte. Bei einem seiner Auftritte in New York war es am 4. Juli 1940 zu Ausschreitungen seiner Anhänger gekommen, als er zu der in diesen Kreisen gängigen Weltverschwörungstheorie – mit den üblichen Schuldigen: Juden, Kommunisten, Kapitalisten – predigte. Auch anderenorts endeten seine Auftritte gern in Straßengewalt.
Die Mehrzahl der Angeklagten hatte sich in vergleichbarer Weise zwischen politisch-religiöser Agitation und US-amerikanischem Wahlkampfzirkus bewegt – mal mehr, mal weniger unter erklärt faschistischer Bezugnahme auf das vermeintliche Erfolgsmodell der deutschen nationalsozialistischen Partei, ihres Programms und ihres Anführers.
Um dem Ganzen – nach den Worten eines der Verteidiger – ein deutsches "Sauerkraut-Aroma" zu geben, kamen auch vier Männer aus dem irrlichternden Milieu der deutschnationalen bis nationalsozialistischen deutsch-amerikanischen Beziehungspflege zur Anklage.
Beispielsweise wurden dem Propagandisten und durchaus anerkannten Dichter
George Sylvester Viereck (1884–1962) diverse publizistische Äußerungen vorgeworfen – darunter eine freundliche Darstellung Hitlers.
Viereck, der 1896 in die USA eingewandert war, hatte sich bereits im Ersten Weltkrieg durch Opposition gegen das militärische Engagement der USA unbeliebt gemacht – gab aber insgesamt ein durchaus rot-schwarz-braun schillerndes Gesamtbild ab: Sein Vater war der radikale sozialdemokratische Agitator Louis Viereck (1851–1922) gewesen, der mit einiger Wahrscheinlichkeit aus einer außerehelichen Affäre des späteren Kaisers Wilhelm I. (1797–1888) mit der Schauspielerin Edwina Viereck (?–1856) entstammte. George Viereck pflegte nicht nur ein herzliches Bild vom Hitler-Staat, sondern auch freundschaftlichen Briefverkehr mit Sigmund Freud (1856–1939) und mit Magnus Hirschfeld (1868–1935), dem Mitgründer der deutschen Homosexuellen-Bewegung.
Chaotischer Prozess mit sehr engagierter Verteidigung
Nicht ohne Grund monierten die Verteidiger, dass die Anklage recht willkürlich ein Spektrum von unliebsamen publizistischen Äußerungen bis hin zu in Gewalt mündender Agitation umfasse – während einflussreiche Vertreter der "America First"-Bewegung nicht vor Gericht gebracht würden.
So wurde das Verfahren von politisch nicht mit den Angeklagten sympathisierenden Prozessbeobachtern auch als Warnsignal an die Adresse dieser durch den prominenten Piloten Charles Lindbergh (1902–1974) vertretenen Bewegung verstanden, sich in seiner Kampagne gegen einen Kriegseintritt der USA zurückzuhalten – immerhin hatten Lindbergh und seine Frau Anne (1906–2001) nicht nur isolationistisch-pazifistische Positionen vertreten, sondern ihre Sympathie für den NS-Staat, antisemitische und rassistische Ansichten offen erklärt.
Um von der reichweitenstarken, durch das Radio populär gewordenen "America First"-Bewegung zu profitieren und den öffentlichen Schulterschluss mit den Angeklagten zu provozieren, beantragten einige Verteidiger immerhin, Lindbergh als Zeugen vor Gericht zu bringen.
Dazu sollte es jedoch nicht kommen. Die gemeinsame Anklage weltanschaulich nicht durch die Bank über einen Kamm zu scherender politischer Wirrköpfe verlangte der Staatsanwaltschaft ab, umfangreiches publizistisches Beweismaterial einzuführen.
Die Verteidigung ging zudem aggressiv, aber streckenweise nicht ungewitzt vor. Richter Edward C. Eicher (1878–1944) sah sich beispielsweise der Petition eines der Verteidiger ausgesetzt, in der vom US-Abgeordnetenhaus die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens ("impeachments") gegen ihn verlangt wurde, weil er nach seiner langjährigen Laufbahn als Abgeordneter der Demokraten und Vorsitzender der Börsenaufsicht ("Securities and Exchange Commission", SEC) im nicht gänzlich abwegigen Verdacht stand, den Prozess unter Karrieregesichtspunkten zugeteilt bekommen zu haben.
Der jedenfalls bis August 1944 auch von der Öffentlichkeit kontrovers beobachtete Prozess kam wegen der umfangreichen Beweisaufnahme, der teils heiklen Beweisanträge und der aktiven Verteidigung – die von Richter Eicher wegen Missachtung gemaßregelten Anwälte gründeten sarkastisch einen "Contempt Club" – nur schleppend voran.
Nachdem sich das alliierte Landungsunternehmen in der Normandie vom 6. Juni 1944 als Erfolg erwies, brach das publizistische Interesse am Prozess gegen die 30 populistisch-rechtsextremen bis "rechtsintellektuellen" Angeklagten mit "Sauerkraut-Aroma" recht zügig zusammen.
Weil schließlich Richter Eicher am 29. November 1944 einem Herzinfarkt erlegen war, wurde das Verfahren zum "Fehlprozess" erklärt. Dieses unbefriedigende Ende – es war nur rund ein Drittel des Beweismaterials eingeführt, historisch hoch spannende Zeugen wie Lindbergh waren nicht gehört worden – führte dazu, dass der juristische Kampf gegen die "braune Gefahr" im kollektiven Gedächtnis völlig von dem gegen die "rote Gefahr" überdeckt werden sollte.
Immerhin: Der Kaiser-Enkel Viereck schrieb nach seinen anderweitig verwirkten Haftstrafen einen der ersten nicht christlich moralisierenden, sondern durch Schilderung von Sexualität und Gewalt glaubwürdig modernen Gefängnis-Berichte – und formulierte damit diese für die kurze sozialliberale Reformepoche der US-Justiz der 1950er bis 1970er Jahre so wichtige Perspektive mit.
Amerika 1944: . In: Legal Tribune Online, 04.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36861 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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