Sie sind schnell getippt, wann wird es bei Emojis in Chats aber auch rechtlich ernst? Ein Emoji verpasste knapp die Wahl zum Jugendwort 2024 und könnte nun juristisch besonders relevant werden. Warum bei ✂️ Vorsicht angesagt ist.
Mitte Oktober wurde auf der Frankfurter Buchmesse das Jugendwort des Jahres 2024 bekanntgegeben, es wurde "Aura". Gemeint ist damit die persönliche Ausstrahlung. Aus juristischer Sicht viel interessanter war jedoch ein Begriff, der die Krönung nur knapp verpasste: "Schere" bzw. "die Schere heben". Der Ausdruck wird im Bereich des Online-Gaming sowie in der Streaming-Szene auf Plattformen wie Twitch als Schuldeingeständnis verwendet und bedeutet so viel wie "mein Fehler". Dazu werden in Chats und auf Kurznachrichtendiensten häufig die Emojis ✂️ oder “Gespreizte Hand” verwendet.
Aus der Kommunikation per Chat-Messenger sind Emojis nicht mehr wegzudenken. Sie sind schnell eingefügt und versendet, kommentieren die Nachrichten von anderen oder flankieren eigene Textnachrichten. Wie alle anderen sprachlichen Erklärungen kann ihnen aber auch rechtliche Bedeutung gerade im Vertragsrecht beigemessen werden. Wer in der direkten Kommunikation auf einer Plattform für Secondhand-Klamotten auf eine entsprechend konkrete Nachfrage des Verkäufers mit einem Hochgestreckten-Daumen-Emoji antwortet, kann das Angebot annehmen.
Weniger eindeutig wird es allerdings schon dann, wenn Emojis zwar mit positiven Emotionen in Verbindung gebracht werden, aber hinsichtlich ihrer Aussage mehrdeutig sind. So können etwa auch andere Darstellungen wie eine Partytröte, ein knallender Sektkorken oder Sektgläser als entsprechende Bestätigung verstanden werden, wie bereits die Rechtswissenschaftlerin Carmen Freyler publizierte. Eine Auslegung im Einzelfall ist daher unerlässlich. Deutsche Gerichte haben sich bislang so gut wie gar nicht mit Emojis befasst. Klare Regeln zu deren Erklärungswert im Privatrecht finden sich daher noch nicht, das könnte sich jedoch bald ändern.
Wer verbindet was mit einem Emoji?
Ob und wie weit Emojis rechtlich relevante Willenserklärungen sein können, ist nach den allgemeinen Auslegungsmethoden zu ermitteln. Dabei kommt dem bereits seit dem Fall der Trierer Weinversteigerung von Juristinnen und Juristen gefürchteten potenziellen Erklärungsbewusstsein sowie dem objektiven Empfängerhorizont eine besondere Bedeutung zu. Denn die Frage, was das Gegenüber mit einer Geste verbinden durfte (einen freundlichen Gruß oder eine verbindliche Willenserklärung), stellt die Juristerei seit jeher vor große Herausforderungen.
Das kann auch beim Einsatz von Emojis zu Problemen führen, wenn der Erklärende mit ihnen keinen oder einen anderen Erklärungsinhalt verbindet als der Empfänger. In diesen Konstellationen kommt es darauf an, ob der Erklärende potenzielles Erklärungsbewusstsein hatte: Hätte der Erklärende bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können, dass sein Handeln als Willenserklärung gedeutet werden kann, so ist er an diese Erklärung gebunden. Insoweit gilt nichts anderes als bei der von Hermann Isay 1899 erdachten Weinversteigerung.
Der Inhalt bzw. objektive Sinn dieser Erklärung bestimmt sich laut BGH nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums, dem objektiven Erklärungshorizont. Der bemisst sich nach §§ 133, 157 BGB, indem darauf abgestellt wird, wie der Empfänger die Erklärung nach Treu und Glauben sowie nach der Verkehrssitte verstehen muss. Dafür ist ihr objektiver Sinn anhand aller erkennbaren Umstände zu erforschen. Das fällt bei Emojis aber besonders schwer.
Den "Wortlaut" eines Emojis kann man in besonderen Emoji-Lexika im Internet nachschlagen. Entscheidende Bedeutung kommt bei der Auslegung aber den Begleitumständen, hier insbesondere dem mit dem Emoji versendeten Text, zu. Häufig ersetzen Emojis ganze Worte innerhalb des Satzes, sodass sich ihre Auslegung nach dem Sinngehalt des restlichen Satzes richtet.
Mit diesen Fragen beschäftigt sich umfassend der Rechtswissenschaftler Matthias Pendl. Dieser benennt als Teil der auslegungsrelevanten Begleitumstände noch einen entscheidenden Faktor: den besonderen "Emoji-Soziolekt" des Senders und Empfängers. Das Verständnis eines Emojis variiert damit nach Zugehörigkeit der Beteiligten zu bestimmten sozialen Gruppen. So kann demselben Emoji je nach persönlichen Eigenschaften wie Alter, kulturellem und sprachlichem Hintergrund, Geschlecht, Persönlichkeit und Erfahrung in der digitalen Kommunikation unterschiedliche Bedeutung beigemessen werden, was eine kategorische Bestimmung ihres Inhalts unmöglich macht, so wie möglichweise auch bei ✂️.
Erfüllen die Scheren-Emojis die Anforderungen an ein Schuldanerkenntnis?
Die Aussage "Mein Fehler" könnte juristisch schnell als Schuldanerkenntnis, also eine Erklärung, mit der jemand verbindlich seine Einstandspflicht für eine Forderung einräumt, angesehen werden. Kann man so auch ✂️ verstehen? Stellen wir uns folgenden Fall vor: Nach einem Mannschaftsabend im Fußballvereinsheim fragt jemand in der Chatgruppe der Mannschaft, wer sein geparktes Auto beschädigt habe. Hierauf erhält er als Antwort von einer Person lediglich das Emoji ✂️. Hier kann die rechtliche Bewertung der Scheren-Emojis von erheblicher Bedeutung sein, wobei nach dem abstrakten, deklaratorischen und tatsächlichen Schuldanerkenntnis unterschieden werden muss.
In dem Fall von "Schere" und den dazugehörigen Emojis ist davon auszugehen, dass vor allem Ältere und mit dem Internet weniger vertraute Nutzer hiermit keinen Erklärungsinhalt verbinden. Aber auch wenn Sender und Empfänger der "Schere" denselben Bedeutungsgehalt beimessen, wird dies zumeist kein abstraktes Schuldanerkenntnis begründen: Denn schon rein formal ist das abstrakte bzw. konstitutive Schuldanerkenntnis durch das Schriftformerfordernis des § 781 Satz 1 BGB in der Kommunikation über digitale Nachrichtendienste ausgeschlossen.
Für das deklaratorische bzw. kausale Schuldanerkenntnis, das ein bereits bestehendes Schuldverhältnis voraussetzt, besteht hingegen kein Formzwang. Es bewirkt jedoch lediglich einen Einwendungsausschluss des Erklärenden, der auch späteres rechtliches oder tatsächliches Bestreiten abschneidet. Allerdings wird das Verständnis eines objektiven Empfängers nur in Ausnahmefällen dahin gehen, dass durch das Versenden der Emojis ein derartiger Erklärungsgehalt gewollt ist. Hierbei ist zu beachten, dass nach der Einschätzung von Pendl der entsprechende "Emoji-Soziolekt" nicht nur bei irgendeiner Gruppe vorliegen muss, sondern gerade das Durchschnittspublikum der Erklärung dieses Verständnis teilen müsste. Dieser Sprachgebrauch ist auch im oben genannten Beispielsfall entscheidend. Teilen Sender und Empfänger dasselbe Verständnis der "Schere", könnte ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis angenommen werden. Für den oben dargestellten Fall hat dies aber keine rechtlichen Konsequenzen, da das deklaratorische Schuldanerkenntnis ein bestehendes Schuldverhältnis voraussetzt und grade kein neuer Schuldgrund geschaffen wird.
Schließlich kommt für das Deliktsrecht ein einseitiges Anerkenntnis ohne Vertragscharakter, auch tatsächliches Schuldanerkenntnis genannt, in Betracht, welches als Wissenserklärung und "Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst" von der ständigen Rechtsprechung als Indiz berücksichtigt wird. Selbst wenn die Verwendung von Emojis von beiden Seiten entsprechend verstanden würde, kann ein solches Anerkenntnis ohne Vertragscharakter frei widerrufen oder durch den Gegenbeweis entkräftet werden. Es könnte maximal zu einer Beweiserleichterung kommen.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Emojis Willenserklärungen darstellen können, das Potential der "Schere" als Schuldanerkenntnis jedoch begrenzt ist. Da diese Emojis aktuell nur in einzelnen Gruppen als Eingeständnis eines Fehlers verstanden werden, dürfte nach dem objektiven Empfängerhorizont nur in den Fällen eine rechtlich verbindliche Erklärung vorliegen, in denen beide Seiten dieses Verständnis teilen.
Ob bereits die Nominierung zum Jugendwort des Jahres 2024 ausreicht, um den sozio-immanenten Erklärungsgehalt des Emojis einem für den objektiven Empfängerhorizont relevanten Durchschnittspublikums zu verdeutlichen, dürfte zu bezweifeln sein, wenngleich ARD-Sprecherin Susanne Daubner mit ihren Ausschnitten aus der Tagesschau viral geht und die Auszeichnung durch den Langenscheidt-Verlag viel Aufmerksamkeit erlangt. Falls sich die "Schere" mit dem korrespondierenden Gehalt "mein Fehler" in weiteren Teilen der Gesellschaft durchsetzt, könnte sich aber auch das Verständnis eines objektiven Empfängers verändern. Dann wären auch ✂️ in Zukunft mit größerer Vorsicht zu versenden.
Manuel Opfer, LL.M. (UCT) ist Rechtsanwalt im Bereich Litigation & Dispute Resolution in der Kanzlei Clifford Chance in Düsseldorf; Niklas Püttmann, LL.M. (LSE) ist Rechtsreferendar am Landgericht Düsseldorf.
Wie schnell rechtlich bindend?: . In: Legal Tribune Online, 02.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55764 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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