Prüferseufzer Teil III - Hausarbeiten

Sch­reibt (euch) nicht ab!

von Roland SchimmelLesedauer: 6 Minuten

Die vorlesungsfreien Wochen: Zeit für Jurastudenten, mit Hausarbeiten der Wissenschaftlichkeit zu frönen. Und danach Zeit für Korrektoren, sich in Geduld zu üben und ihre Nerven zu stählen. Prüfer Roland Schimmel weiß, wovon er spricht.

Die letzten an gleicher Stelle dokumentierten Prüferseufzer befassten sich mit unnötigen Fehlern in Klausuren. Weil aber unter dem klausurtypischen Zeitdruck einfach schnell etwas schief geht, drückt man als Prüfer öfter mal ein Auge zu.

Wie schön, wenn dann zur Abwechslung mal die Korrektur einer Hausarbeit ansteht. Hier bekommt man nur Texte zur Bewertung, an deren Formulierung die Verfasser wochenlang bis ins feinste Detail haben feilen können. Endlich können sie mal zeigen, was sie wirklich können. Und der Korrektor hat das Vergnügen, feinste juristische Sachprosa lesen zu dürfen – zumindest in der Theorie.

Denn obgleich das "Prüfungsformat Hausarbeit" ein Leistungsniveau erhoffen lässt, das Seufzer aller Art geradezu ausschließen sollte, schlägt man als Leser mitunter hart auf dem Boden der Wirklichkeit auf. Im Folgenden ein paar ernüchternde Erkenntnisse aus der letzten Hausarbeiten-Phase.

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Auch unbestimmte Artikel haben einen Kasus

Mit der Sprache fängt es an. Hier und da lässt man vielleicht einmal Fünfe gerade sein, wenn der Verfasser im Deutschen erkennbar nicht völlig sattelfest ist – obwohl gerade diese Eigenschaft künftigen Juristen gut zu Gesicht steht. Verschmelzen etwa Einrede und Gegenrechte zu Gegenrede, dann ist das Gemeinte mit gutem Willen aus dem Zusammenhang einigermaßen verlässlich zu erschließen. Manchmal sind es auch lustige kleine Alltagsverwechslungen, etwa wenn aus einem zwingenden Schluss ein zwanghafter wird. Auf dem Vormarsch ist in den letzten Jahren das Verwechseln von Einigung und Eignung. Und die mangelhafte und die mangelnde Sache sind immer noch nicht gleichbedeutend. Als Verfasser tut man deshalb gut daran, jedes Wort am Ende noch einmal zu überdenken, denn die Geduld des Lesers ist groß, aber auch endlich.

Im Literaturverzeichnis lacht den Prüfer an: ein Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Nebensätzen statt Nebengesetzen. Wäre das nicht schön - ein BGB ohne Nebensätze? Und dazu dann noch ein Kommentar, wenn es einen solchen dann überhaupt noch bräuchte. Am besten ebenfalls ohne Nebensätze.

Dass "A kann gegen B ein Anspruch haben" aber fast schon als richtig gilt, jedenfalls irritierend weit verbreitet ist, kann man nur bedauern. Wer als Korrektor aber auf dieser banal-grammatikalischen Ebene Verbesserungsanmerkungen setzen will, bekommt viel zu tun. Viele Prüferkollegen lassen es resigniert bleiben. Sollen die Kandidaten  doch ihren Deutschlehrern die Schuld geben, wenn sie eines Tages in den Momenten, wo es wirklich darauf ankommt, scheitern.

Die Sache mit dem "oder" und dem "und"

An Grenzen stößt aber des Lesers Neigung zur wohlwollenden Interpretation, wenn es um die Logik der Sache geht, die in allen Sprachen gleich bleibt, egal wie groß die Schwierigkeiten des Kandidaten mit Deutsch als Zweit- oder Drittsprache sein mögen. Die Konjunktionen und und oder, nur mal so als harmloses Beispiel, sollten Juristen verlässlich auseinanderhalten können. Dass Verwechslungen hier schnell zu dicken inhaltlichen Fehlern führen können, wird durch folgendes Beispiel deutlich:

Man stelle sich eine Norm mit sieben Tatbestandsmerkmalen vor, die entweder alle durch und oder eben durch oder miteinander verknüpft sind. Im ersten Fall ist das Eintreten der Rechtsfolge deutlich voraussetzungsreicher als im zweiten. Eigentlich offensichtlich, oder?

Doch die beiden Konjunktionen werden tatsächlich immer wieder  verwechselt. So findet sich kurz nach dem – richtigen – Satz "Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten" die – unglückliche bis falsche – Formulierung "Nach § 280 I iVm § 276 kann der Gläubiger nur Ersatz des entstandenen Schadens verlangen, wenn der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat." Wer unter den letzten Satz wirklich subsumieren wollte, geriete in arge Verlegenheit. Die Verknüpfung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ist nämlich gewiss nicht kumulativ.

Verschärfend kommt hinzu, dass das oder ein exklusives ist, denn Vorsatz und Fahrlässigkeit schließen sich begrifflich gegenseitig aus. Der Sache nach ist es daher unnötig, unter den genannten Obersatz zu subsumieren. Es kann nämlich kein positives Ergebnis am Ende stehen – durch die Formulierung ist ein Schadensersatzanspruch von vornherein ausgeschlossen. In einer Klausur mögen Prüfer derlei als der Eile geschuldete kleine Schusseligkeit ignorieren, in einer Hausarbeit eher nicht.

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2/2: Quelle: "Senat"

Wenn in der Fußnote als Name der zitierten Quelle Senat angegeben wird, hat der Bearbeiter etwas nicht verstanden bei der Übernahme von Belegstellen aus einem BGH-Urteil. Überhaupt fällt der Umgang mit Gerichtsentscheidungen etlichen Verfassern schwer. So werden aus den Urteilsgründen auch die Darstellungen zur Prozessgeschichte übernommen, die in einem klassischen Rechtsgutachten nichts zu suchen haben.

Vermutlich liegt das an Stil und Argumentation der Entscheidungsbegründungen, die auf größtmögliche Überzeugung zielen. Trotzdem wackelt der Leser mit dem Kopf, nicht zuletzt, weil auch ein noch so überzeugend formuliertes Urteil idealerweise nur nach kritischer Prüfung in den Argumentationszusammenhang des Gutachtens eingebaut werden sollte.

Über den Nutzen der F7-Taste

Thomas Henne, heute Privatdozent in Luzern, hat vor Jahren schon eine Liste von Korrekturkürzeln für juristische Prüfungsarbeiten vorgeschlagen, um den Prüfern das ständige Ausschreiben der immer wieder erforderlichen Beanstandungen am schlanken Korrekturrand  zu ersparen. Die Liste von A bis Z enthält bei manchen Buchstaben Indexzahlen (A1 bis A5 beispielsweise). Was dort fehlt, ergänze ich hier mit einem Ausrufezeichen: F7! F7! Und noch einmal F7!

Obwohl auf jeder besseren PC-Tastatur an prominenter Stelle platziert, kennt heute kaum noch jemand die Bedeutung der F7-Taste in der Standard-Textverarbeitungssoftware des amerikanischen Beinahe-Monopolisten. Schade. Damit wären sehr viele Rechtschreibfehler leicht zu beheben, seien sie nun dem schnellen Schreiben geschuldet oder den mangelhaften Deutschkenntnissen.

Vorsicht muss man allerdings walten lassen bei Eigennamen und Ortsnamen. Das AG Schorndorf wird dann schnell mal autokorrigiert zu AG Schondorf oder AG Schöndorf.

Gegen manchen kreativen Umgang mit den Wörtern, die die Aufgabe verwendet, hilft allerdings auch keine Rechtschreibkorrekturfunktion. Die merkt nichts, wenn die Frist zum First und der Ausschluss zum Ausschuss wird oder wenn man versehentlich zweitaufwendig statt zeitaufwendig schreibt. In der jüngsten Hausarbeit wurde der Baumarkt aus dem Sachverhalt häufiger zum Baummarkt und gelegentlich auch mal zum Bauhaus. Keine Chance für die Software.

Dass der Korrektor etwa tausend Mal ein Fragezeichen an den Rand malen muss, wenn statt der Fliesen aus dem Sachverhalt von Fließen die Rede ist, gelegentlich auch von  Fiesen (Die fiesen Fliesen der Friesen fließen zu meinen Füßen…), wäre aber nicht nötig. Man hätte gegen Ende ja auch mal Korrektur lesen (lassen) können. Dafür müsste in einer Hausarbeit idealerweise noch ein wenig Zeit übrig sein.

Problemgewichtungsprobleme

Eine gute oder wenigstens vertretbare Problemgewichtung ist in fast allen Prüfungsformen ein Erfolgsfaktor. Aber in einer Hausarbeit lassen unglückliche Schwerpunktsetzungen den Prüfer besonders ratlos zurück. Ein Beispiel: Ist die Kaufsache von der Herstellung an mangelhaft, kann man recht einfach das Bestehen des Mangels bei Übergabe (§ 446 BGB) vom Verkäufer an den Käufer feststellen. Das geht ebenso kurz wie überzeugend.

Wer aber anschließend noch die widerlegliche (!) Vermutung des § 476 BGB erörtert, ist gezwungen, die Voraussetzungen eines Verbrauchsgüterkaufs im Sinne von § 474 I BGB zu erörtern: Unternehmereigenschaft des Verkäufers nach § 14 BGB, Verbrauchereigenschaft des Käufers nach § 13 BGB, Beweglichkeit der verkauften Sache, ausnahmsweise Nicht-Anwendbarkeit der Vermutung des § 476. Das kostet schnell einmal zwei Seiten Text – und schon ist ein Zehntel des Umfangs für eine unnötige Prüfung draufgegangen. Denn was hilft eine Vermutung, wenn die vermutete Tatsache bereits feststeht?

Die Mär von der verdreckten Regelungslücke

Wenn man seit Jahren korrigiert, glaubt man irgendwann, jeden Tippfehler schon einmal gesehen zu haben. Das stimmt aber nicht: Die verdreckte Regelungslücke zum Beispiel ist neu. Zuerst mag man als Prüfer noch schmunzeln, weil man es für einen absichtlichen Kommentar zum nervigen Analogieproblem halten könnte, über das in der Bearbeitung wenigstens ein paar Sätze zu verlieren waren. Es kam dann aber doch ganz anders:

Die verdreckte Regelungslücke hat sich nämlich ganz nebenbei als ziemlich verlässlicher Kollusionsindikator erwiesen. Wenn der vermeintlich kleine Tippfehler in drei Hausarbeiten zu lesen ist, wird man als Korrektor nachdenklich. Es stellte sich schließlich heraus, dass ich mir einen Teil der Korrekturarbeit sparen konnte: T steht für Täuschungsversuch. Die betreffenden Arbeiten waren übrigens nicht nur in den Tippfehlern identisch. In solchen Augenblicken seufzt der Prüfer dreifach. Mindestens.

Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main.

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