Verhandlungsführung kommt zu kurz
Den ersten Kontakt mit dem Thema Verhandlung hatte Dr. Markus Altenkirch während seines LL.M.-Studiums in London. In einer Vorlesung zu Verhandlungsführung und Psychologie merkte der heutige Rechtsanwalt bei Baker McKenzie, dass seine Kommilitonen und Kommilitoninnen aus Großbritannien, den USA und Österreich schon weit mehr darüber wussten als er selbst. "Bei denen gehört das Buch 'Getting to Yes' über die Verhandlungsmethode nach dem Harvard-Konzept zur Standardliteratur im Studium. In Deutschland haben wir da noch einen großen Aufholbedarf", sagt Altenkirch. Allenfalls im Rahmen der Schlüsselqualifikationen steht das Thema Verhandeln an einigen Universitäten auf der Agenda.
Altenkirch bietet als Dozent an der Universität Mainz regelmäßig Workshops zur Psychologie des Verhandelns an. Er vermittelt seinen Studierenden Strategien, wie sie sich in einer kompetitiven Verhandlung verhalten sollten und wie sie bei einer kooperativen Verhandlung eine Lösung finden, die die Interessen aller Beteiligten befriedigt. Der Rechtsanwalt ist überzeugt: "Verhandlungsgeschick ist nicht angeboren – man kann es lernen." Das Wichtigste, bevor man in eine Verhandlung geht, ist eine gute Vorbereitung: Was will ich, was will mein Gegenüber – und auf welchem Weg können wir unsere unterschiedlichen Interessen zusammenbringen?
Das Harvard-Konzept ist dabei nur ein Weg, um zum Ziel zu gelangen. Die Rechtswissenschaftler Roger Fisher und William Ury von der amerikanischen Harvard University beschreiben in ihrem Buch "Getting to Yes" (auf Deutsch: "Das Harvard-Konzept: Der Klassiker der Verhandlungstechnik") ihre Methode für sachbezogenes Verhandeln: Streitfragen sind nach Bedeutung und Sachgehalt zu entscheiden; Ziel dieser Verhandlungsmethode ist eine beidseitig einvernehmliche, konstruktive Einigung – also eine Win-Win-Situation.
"Im Grunde besteht ja das ganze Leben aus Verhandeln"
Doch: "Nicht immer lassen sich Kompromisse auf dieser rationalen Ebene schließen", sagt Dr. Volker Beissenhirtz, Wirtschaftsanwalt und Dozent unter anderem für Verhandlungsführung an der FOM – Hochschule für Oekonomie und Management. "Vielmehr sollte man unterschiedliche Verhandlungsstile kennen – seinen eigenen ebenso wie die der anderen." Denn so könne man auf unterschiedliche Verhandlungstaktiken mit einem spezifischen Verhandlungsverhalten reagieren, erklärt Beissenhirtz. "Stil leitet sich aus der Persönlichkeit ab und beeinflusst deswegen bewusst oder unbewusst die Verhandlung." Auch Manipulationen lassen sich auf diesem Wege erkennen.
Beissenhirtz ist ebenfalls der Ansicht, dass das Thema Verhandlungsführung an den Universitäten zu kurz kommt. "Juristen und Juristinnen haben gelernt, zu strukturieren und zu bewerten, was ein erster Schritt auf dem Weg zur Verhandlung ist. Aber diese Fähigkeiten reichen für eine gute Verhandlung nicht aus." Ob Richterinnen, Rechtsanwälte oder in der Rechtsabteilung einnes Unternehmens: Früher oder später wird jeder irgendetwas verhandeln müssen. Arbeitsrechtliche Einigungen mit dem Arbeitgeber, das Feilschen um Vertragsklauseln, Vergleichsverhandlungen, außergerichtliche Verhandlungen – Situationen, in denen ein gutes Verhandlungsgeschick vonnöten ist, gibt es viele. "Im Grunde besteht ja das ganze Leben aus Verhandeln – im Beruf ebenso wie im Privaten", betont Volker Beissenhirtz.
Wo man das Verhandeln üben kann
Alltägliches Verhandeln übt auch der studentische Verein Bonn Negotiators. Zwei- bis dreimal im Semester treffen sich Studierende, um zunächst einen Expertenvortrag zum Thema Verhandeln zu hören und anschließend selber in (Probe-)Verhandlung zu gehen. "Wir bereiten komplexe Verhandlungsfälle vor und zwei Teams mit unterschiedlichen Positionen müssen sich überlegen, wie sie ihre Interessen durchsetzen wollen", erklärt Kim Scholz aus dem Vereinsvorstand. Anschließend verhandeln jeweils zwei Personen miteinander. Für die Fälle sind keine juristischen Kenntnisse nötig, die Verhandlungstreffen sind offen für alle Studierenden der Universität Bonn. "Aber die meisten Mitglieder sind dann doch Jurastudierende", sagt Christopher Kluß, ebenfalls im Vorstand der Bonn Negotiators. Das Problem im Jurastudium sei, so der Student, "dass man sich schnell unter den Tisch reden lässt, weil man im Studium nicht lernt, seine Position mündlich zu vertreten."
Die beiden Studierenden sowie Altenkirch und Beissenhirtz sind sich einig: Hat man einmal generell das Prinzip des Verhandelns verstanden, lässt sich dies auch auf Verhandlungen im juristischen Kontext übertragen. Wer also nicht das Glück hat, dass an der eigenen Universität eine Veranstaltung zum Thema Verhandeln angeboten wird, kann Verhandlungsführung auch auf anderem Weg lernen: Es gibt umfangreiche Literatur zum Thema, Seminare zum Verhandeln finden sich vielerorten und auch auf YouTube lässt sich Einiges zur Verhandlungsführung finden.
Ins Gericht zu gehen und sich Vergleichsverhandlungen anzuschauen, empfiehlt Kluß als eine weitere Möglichkeit, sich mit dem Thema zu befassen. Altenkirch gibt den Tipp, bei Kanzleien zu schauen, die hin und wieder Verhandlungsworkshops für Studierende anbieten. Beissenhirtz rät, sich mit Impro-Theater zu befassen. "Hier kann man spielerisch lernen, konträre Positionen zu vertreten." Auch auf Business-Plattformen wie Xing oder LinkedIn gibt es Gruppen, die sich zum Thema Verhandlungsführung austauschen.
Am Ende gilt wie so häufig im Leben: Übung macht den Meister. "Wer einmal dafür sensibilisiert ist, wie Verhandlungen geführt werden, merkt schnell, woraus es ankommt", sagt Markus Altenkirch. "Man bemerkt Fehler bei sich und bei anderen und wird dadurch immer besser."
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2021 M12 6
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