Juristisches Studienfach: Europäische Rechtslinguistik
Zwischen Recht und Mehrsprachigkeit
"Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen", heißt es in Art. 21 der Europäischen Grundrechtecharta. Um der Sprachenvielfalt genügend Achtung zu schenken, müssen die Rechtstexte der EU-Organe in 24 Amts- und Arbeitssprachen übersetzt werden. Unter anderem mit dieser Aufgabe liebäugeln die etwa 60 Studienanfänger, die jährlich an der Universität zu Köln mit dem Bachelorstudiengang Europäische Rechtslinguistik beginnen. Was steckt hinter dieser wissenschaftlichen Disziplin?
Die Europäische Rechtslinguistik untersucht die Entwicklung einer gemeinsamen EU-Rechtssprache in mehrsprachiger Ausprägung und beobachtet, wie die Mehrsprachigkeit die Rechtsfortbildung des EU-Rechts beeinflusst. Größere Bedeutung erlangte die Forschungsrichtung durch das Anwachsen der EU auf zuletzt 28 Mitgliedsstaaten und damit auch den erheblichen Zuwachs an Amts- und Arbeitssprachen. Art. 24 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union stellt in Absatz 3 und 4 sicher, dass den Unionsbürgern die Kommunikation mit EU-Organen auf all diesen Sprachen ermöglicht werden muss.
Art. 41 der EU-Grundrechtecharta enthält in Absatz 4 sogar ein Grundrecht auf Kommunikation mit den EU-Organen. Mehr denn je wird die EU mit den Herausforderungen und Notwendigkeiten der Mehrsprachigkeit für die Produktion von Rechtstexten und deren Auslegung konfrontiert.
Prof. Dr. Isolde Burr-Haase hat sich bereits für ihre Habilitationsschrift mit der Mehrsprachigkeit innerhalb der EU und den Vereinten Nationen befasst. Sie ist zusammen mit dem Völkerrechtler Prof. Dr. Bernhard Kempen Gründerin des Studiengangs. Dieser wird von der Philosophischen und Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln in Kooperation angeboten.
Eine Kooperation der juristischen und philosophischen Fakultät
"Die Idee entstand im Jahr 2000 bei der gemeinsamen Forschungsarbeit an der 1. Auflage des Kölner Gemeinschaftskommentars zur EU-Grundrechtecharta. Hier wurden auch rechtslinguistische Fragestellungen thematisiert", erzählt Burr-Haase. "Ab 2007 wurde das Vorhaben eines Bachelor- und ab 2008 das eines Masterstudiengangs realisiert."
Das Bachelorstudium gliedert sich in einen rechtswissenschaftlichen, einen sprachwissenschaftlichen und einen sprachpraktischen Zweig. Die Regelstudienzeit liegt bei sechs Semestern. Zum rechtswissenschaftlichen Zweig gehört die Vermittlung von Grundlagenwissen im Bürgerlichen Recht, Staats- und Verwaltungsrecht sowie Europarecht. "Ihre Prüfungen legen die Bachelorstudenten zusammen mit den normalen Jurastudierenden ab, die aufs Examen hinarbeiten", so Katharina Kroll, die Koordinatorin des Studiengangs.
Im sprachwissenschaftlichen Teilbereich werden Kurse zur allgemeinen Linguistik, deutschen, romanistischen und anglistischen Sprachwissenschaft angeboten. Die sprachpraktische Ausbildung umfasst die Vertiefung der Sprachkenntnisse in einer der romanischen Sprachen Französisch, Italienisch, Portugiesisch oder Spanisch.
"Ziel unseres Verbundstudiengangs ist die Vermittlung von Kompetenzen, mit mehrsprachigen Rechtskonzepten umzugehen. Die sehr unterschiedlichen Methoden der juristischen und linguistischen Disziplin sollen parallel zueinander betrachtet werden. In dem Basismodul 'Einführung in die Europäische Rechtslinguistik' werden die Studierenden beispielsweise schon ab dem ersten Semester an diese interdisziplinären Sichtweise gewöhnt", erklärt Burr-Haase.
Studium mit ganz konkretem Ziel
Viele absolvieren nach dem Bachelor den vier Semester dauernden Master in Europäischer Rechtslinguistik
Auf dem Lehrplan stehen Module in französischer, spanischer oder italienischer Sprachwissenschaft, aber auch im Europa- und Völkerrecht, Wirtschaftsrecht und Europäischen Privatrecht. Ziel der sprachwissenschaftlichen und sprachpraktischen Veranstaltungen ist es, die Kompetenzen in einer romanischen Sprache zu vertiefen und sprachwissenschaftliche Forschungsmethoden auf diese anzuwenden. Es soll das Sprachniveau C2 erreicht werden. Im Rahmen des rechtswissenschaftlichen Zweigs kommen die Masterstudierenden mit spezielleren Rechtsgebieten wie Europäischem Verwaltungsrecht, Völkerstrafrecht oder UN-Kaufrecht in Berührung. Während das Bachelorstudium stärker auf die Praxis bezogen ist, legt der Master seinen Schwerpunkt auf die Forschung.
Ein Großteil der Studierenden absolviert während des Bachelor- oder Masterstudiums ein bis zwei Semester im Ausland - vorzugsweise in Frankreich oder Spanien. Praktika führen sie in EU-Institutionen oder ausländische Kanzleien. Auch was berufliche Perspektiven angeht, schauen die Absolventen über die Landesgrenzen hinweg.
"Einige absolvieren ein Traineeship in verschiedenen EU-Organen, andere werden für ein mehrsprachiges Lektorat in Verlagen oder zur mehrsprachigen Vertragsprüfung in internationalen Unternehmen eingestellt", ergänzt Kroll. Ein konkretes Berufsbeispiel ist etwa der lawyer linguist, wie er vom EuGH gesucht wird. Großkanzleigehälter wird man dort nicht erreichen. Es locken jedoch Einstiegsgehälter jenseits der 60.000 Euro Jahresbrutto bei wesentlich angenehmeren 40 Stunden pro Woche. Für eine Einstellung muss das Auswahlverfahren des Europäischen Amtes für Personalauswahl (EPSO) durchlaufen werden.
Rechtslinguistik etabliert sich international
Nun mögen Kritiker solcher eher exotischen Studiengänge zu Recht hinterfragen, was so ein Jura-Bachelor im Vergleich zur klassischen Juristenausbildung nützt. Die Antwort ist einfach: Ein Student der Europäischen Rechtslinguistik ist nicht an einer klassischen Juristenausbildung, sondern an Fragestellungen im Schnittpunkt zwischen Recht und Mehrsprachigkeit interessiert.
Dass sich die Europäische Rechtslinguistik in Forschung und Lehre etabliert hat, zeigen das Netzwerk "Verein für Europäische Rechtslinguistik" und das e-journal "Zeitschrift für Europäische Rechtslinguistik". An der Sorbonne in Paris, an der Universität Genua oder an der Universität in Rovaniemi (Finnland) gibt es inzwischen ähnliche Studiengänge.
Wer dagegen für die Karriere auf Nummer sicher gehen will, kann Bachelor und Master immer noch mit einer klassischen Juristenausbildung verknüpfen. "Etwa 20 Prozent unserer Absolventen streben nach dem Bachelor noch das juristische Staatsexamen an. Genauso können Juristen mit dem ersten Staatsexamen und einem Schwerpunkt im Europa-, Völker- oder Internationalen Privatrecht sich für unseren Master bewerben", erklärt Kroll.
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