Optimismus trotz schwieriger Zeiten
Als die Bundesrechtsanwaltskammer am 6. April 2011 die Zahlen für die deutsche Anwaltschaft veröffentlichte, bestätigte sich, was aus einigen regionalen Rechtsanwaltskammern schon zu hören gewesen war: Die Zahl der deutschen Rechtsanwälte ist zum 1. Januar 2011 weiter angestiegen, wenn auch langsamer als in den Vorjahren. 155.679 zugelassene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vermeldet die Statistik, dies sind 2.428 Kolleginnen und Kollegen mehr als ein Jahr zuvor. Das bedeutet ein Wachstum um knapp 1,6 Prozent. Der Anstieg hat sich damit in den vergangenen Jahren von rund 3 Prozent kommend deutlich verringert. Dabei ist zu beachten, dass es hier sich immer um den Nettozuwachs handelt, also die Zahl der neu zugelassenen Rechtsanwälte abzüglich der Zahl der ausgeschiedenen Kollegen. Insgesamt dürften daher zwischen 6.000 und 7.000 neue Rechtsanwälte ihre Zulassung bei den 27 regionalen Anwaltskammern erhalten haben.
"Mehr Schein als Sein" bei vielen Kanzleien
Allerdings sagen diese dürren Zahlen wenig über die Struktur der Anwaltschaft in Deutschland aus. Dafür muss man andere Ergebnisse zu Rate ziehen, wie etwa die der jährlichen Umsatzsteuerstatistik des Statistischen Bundesamts oder der STAR-Untersuchung des Instituts für Freie Berufe (IfB) der Universität Erlangen-Nürnberg. Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts stammen zwar aus dem Jahr 2008, zeigen aber in der Betrachtung über die Jahre seit Beginn der Erhebung 2002 eine erstaunliche Konstanz Dazu einige Eckdaten, die der Anwaltschaft oftmals gar nicht so bewusst sind: Insgesamt betrug der Umsatz auf dem gesamten Rechtsberatungsmarkt – einschließlich der Anwaltsnotare und Notare – rund 18,2 Milliarden Euro (netto ohne Umsatzsteuer). Er ist damit seit 2005 von 15, 4 Milliarden Euro kontinuierlich angestiegen. Erwirtschaftet wird der Umsatz laut der Statistik von insgesamt 46.600 Kanzleien. Wie die Grafik zeigt, sind davon immer noch der größte Teil mit knapp 89 Prozent kleinere Kanzleien mit bis zu fünf Rechtsanwälten. Interessant ist die Verteilung des Umsatzes: Hier spielen die mittleren und größeren Sozietäten eine überragende Rolle. Die Kanzleien von 11 Anwälten an aufwärts erwirtschaften immerhin rund 45 Prozent gesamten Umsatzes auf dem Beratungsmarkt. Genauer aufgegliedert stellt sich dies wie folgt dar: Sieht man sich die Zahlen der Strukturen im Detail an, so fällt auf, dass viele Kanzleien mit mehreren Rechtsanwälten auf dem Briefbogen offenbar nach dem Motto "Mehr Schein als Sein" arbeiten: Sie führen zum Beispiel Angestellte und freie Mitarbeiter auf, die wirtschaftlich am Erfolg der Kanzlei nicht maßgeblich beteiligt sind – eine Entwicklung, die auch die Haftpflichtversicherer bestätigen. Laut Statistik handelt es sich bei über 35.000 Kanzleien um Einzelkanzleien mit einem Inhaber; nur rund 10.500 Kanzleien (das sind 22 Prozent) sind in der Form der Personengesellschaft organisiert. Anders ausgedrückt: In Deutschland herrscht die Kanzlei mit einem Umsatz von 17.500 bis 250.000 Euro vor. Die Eckdaten:- Es handelt sich um 33.083 Kanzleien, das sind 71 Prozent der Kanzleien des Marktes.
- Sie haben 40.684 tätige Inhaber, das bedeutet 1,3 Anwälte pro Kanzlei.
- Diese Kanzleien erzielen einen Umsatz von rund 3,3 Milliarden Euro, das sind18,1 Prozent des Gesamtumsatzes.
- Das bedeutet einen Umsatz von 99.500 Euro pro Kanzlei.
- Ihre Kostenquote beträgt 46,4 Prozent.
- Sie beschäftigen 87.035 Mitarbeiter, das heißt 2,6 weitere Kollegen.
- Es handelt sich um 13.497 Kanzleien, das sind 29 Prozent der Kanzleien des Marktes.
- Sie haben 29.309 tätige Inhaber, das bedeutet 2,2 Anwälte pro Kanzlei.
- Diese Kanzleien erzielen einen Umsatz von rund 14,9 Milliarden Euro, das sind 81,9 Prozent des Marktes. Davon stammen 1,6 Milliarden Euro aus dem Ausland.
- Das bedeutet einen Umsatz von 1,1 Millionen Euro pro Kanzlei.
- Ihre Kostenquote beträgt 53 Prozent, davon sind 49,1 Prozent Personalkosten.
- Sie beschäftigen 153.699 Mitarbeiter, das heißt 11,4 weitere Kollegen.
Gerade neue Kollegen fühlen sich gut für die Zukunft gerüstet
Interessant ist ein Blick darauf, wie die Anwaltschaft selbst ihre Lage einschätzt. Unter dem Titel "Zur Zukunft des Anwaltsberufs: Die Sicht von Rechtsanwälten 2010" hat das Marktforschungsunternehmen IRES aus Düsseldorf im Auftrag der Datev rund 250 Kanzleien ausführlich im persönlichen Gesprächen befragt. Dabei wurden im Oktober und November 2010 Kanzleien befragt, angefangen von der Einzelkanzlei mit mindestens drei Mitarbeitern bis hin zu großen Sozietäten. Diese Erhebung ermittelt zunächst eine erfreuliche Selbsteinschätzung des Berufsstands: 73 Prozent der befragten Anwälte fühlen sich sehr gut oder gut für die Zukunft gerüstet. Besonders optimistisch zeigen sich die größeren Kanzleien mit vier und mehr Anwälten (88 Prozent); die Einzelanwälte sind eher vorsichtiger (60 Prozent). Besonders augenfällig sind die Angaben derjenigen Kolleginnen und Kollegen zu ihrer Lage, die bis zu fünf Jahren zugelassen sind. Sie sehen zu 84 Prozent positiv in die Zukunft – ein erfreuliches wie auch überraschendes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass viele Neueinsteiger nach aktuellen Umfragen eigentlich gar keine Anwälte werden wollten.Der Wettbewerbsdruck steigt
Laut IRES-Geschäftsführer Dieter Franke bestätigt dies einen Trend, "der über die Jahre der Finanzmarktkrise mit leichten Schwankungen hinweg zu verzeichnen ist". Trotz dieses Optimismus' sehen die meisten neuen Kollegen den steigenden Wettbewerbsdruck als mit Abstand maßgebende Entwicklung für die eigene berufliche Lage an, so Franke weiter. Erst dahinter komme, anders als noch 2009, die wirtschaftliche Lage der Mandanten. Diesen Wettbewerbsdruck verspürten auch zunehmend die Fachanwälte und größere Sozietäten, was sich auch mit Ergebnissen von Gesprächen mit Unternehmen decke, die Rechtsanwälte beauftragen. Über Stundensätze, Mandatsumfänge und mehr wird mittlerweile heftig diskutiert, so die Beobachtung des IRES-Geschäftsführers. Im Zuge der Überwindung der Wirtschaftskrise haben aber auch viele Anwälte die Überlegungen zu ihrer eigenen Zukunft hinten an gestellt. Wenn das Geschäft gut läuft, wird nach Einschätzung von Dieter Franke weniger als sonst über neue Kanzleikonzepte oder die Öffentlichkeitsarbeit nachgedacht. Weiter an Boden gewonnen hat laut der Datev-Studie die Wahrnehmung des Anwalts als Unternehmer: Bekannten sich im Krisenjahr 2008 nur 18 Prozent der Kolleginnen und Kollegen zu unternehmerischem Denken, so stieg der Anteil auf jetzt 35 Prozent. Schließlich bekommen das Internet und andere Kommunikationsplattformen einen immer größeren Stellenwert; über 75 Prozent der Anwälte gaben bei der Umfrage an, eine eigene Homepage zu unterhalten. Einzelne Ergebnisse aus der sehr umfangreichen Studie werden demnächst auf LTO.de veröffentlicht. Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen. Quelle aller Daten: Bundesrechtsanwaltskammer Mehr auf LTO.de: BGH zur Anwaltszulassung: Verbandsjurist taugt zum Advokat Kanzleigründung in der Nische: Kometenhafter Start im HochtechnologiesektorAuf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2011 M06 2
Statistiken
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