Automatisierung, Kollaboration und ein bisschen Dating
Als der Deutsche Anwaltverein im Jahr 2013 seine Studie zum "Anwaltsmarkt 2030" veröffentlichte, wirkten deren Ergebnisse für viele noch wie abstrakte Visionen einer fernen Zukunft. Drei Jahre später sind die dort angekündigten neuen Technologien, Internet-Anbieter und virtuellen Geschäftsmodelle aber bereits Realität und auf dem Weg, den Rechtsmarkt massiv zu verändern. Zwar später als in den USA, aber mittlerweile auch hierzulande mit einer beachtlichen Geschwindigkeit entstehen und entwickeln sich ganz neue Player im Rechtsmarkt. Mehrere Dutzend Startups sind in den vergangenen Jahren gegründet worden, fast wöchentlich kommen neue Unternehmen hinzu. Mittlerweile reagieren auch die Universitäten und bieten – wie in Münster und an der Bucerius Law School in Hamburg – Ausbildungsinhalte zum Thema Legal Tech an. Der Rechtsmarkt ist im Umbruch. Und wenn auch vermutlich noch nicht in ein oder zwei, so doch jedenfalls in zehn Jahren wird er ein anderer sein. Keiner seiner Akteure wird das auf Dauer ignorieren können. Dieser Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit soll zeigen, dass die Neuerungen im Arbeitsalltag des Einzelnen vor allem davon abhängen werden, in welchen juristischen Tätigkeitsfeldern man aktiv ist und welche Zielgruppen man mit welchem Beratungsangebot bedient.
Längst nicht mehr nur Branchenbücher online: die Anwaltsportale
Zu den Vorläufern des heutigen Legal-Tech-Booms kann man die zahlreichen Online-Anwaltsportale zählen, die seit Jahren im Markt aktiv sind. Sie haben das Geschäft der Branchenbücher in das Internet überführt, mehrheitlich wird heutzutage dort nach einem Rechtsbeistand gesucht. Marktführer ist anwalt.de mit über 18.000 zahlenden Anwaltskunden und mehr als 80 Mitarbeitern. Beim bisher letzten Test der Zeitschrift Finanztest der Stiftung Warentest im Jahre 2013 besonders gut abgeschnitten haben anwalt24.de, wie LTO aus dem Hause Wolters Kluwer, und anwaltauskunft.de, das Portal des Deutschen Anwaltvereins. Zu den besonders erfolgreichen Angeboten zählt auch 123recht.net mit dem verbundenen Service frag-einen-anwalt.de, über den bereits mehr als 160.000 Fragen von Rechtssuchenden durch Anwälte beantwortet werden konnten. Einige dieser Plattformen haben mittlerweile auf den Legal-Tech-Trend reagiert und bieten neben der Möglichkeit für Anwälte, durch suchmaschinenoptimierte Fachartikel potenzielle Mandanten auf sich aufmerksam zu machen, zusätzliche Services wie Vertrags-Generatoren oder Rechtsprodukte zum Festpreis an. Auf den Markt der Online-Vermittlung und -Abwicklung anwaltlicher Rechtsdienstleitungen drängen nun auch zahlreiche neue Anbieter.Vordefinierte Rechtsprodukte, Anwälte zum Festpreis oder per MyHammer-Methode
Auf dem Marktplatz des Greifswalder Startups advocado.de finden Verbraucher Rechtsdienstleistungen mit vordefinierten Rechtsprodukten und können sich den passenden Anwalt vermitteln lassen. Auch individuelle Rechtsfragen können sie an einen Anwalt richten. Die Gründer machten zuletzt auch durch Kooperationen mit dem Edeka-Food-Service und dem Anwaltsnetzwerk Apraxa auf sich aufmerksam. In eine ähnliche Richtung geht das Angebot von jurato.de aus Berlin. Auch diese Plattform offeriert Anwaltsdienstleitungen zum Festpreis, ebenso zahlreiche Tools wie Voice-, Video- oder Textchat für die schnelle Kommunikation mit dem Anwalt. Zusätzlich können Verbraucher dort ihre Rechtsfragen einstellen und aus verschiedenen Angeboten von Rechtsanwälten auswählen, bekannt vom MyHammer-Prinzip für die Beauftragung von Handwerkern. In der deutschen Startup-Hauptstadt ist in diesem Jahr außerdem legalbase.de gestartet. Die Newcomer warten ebenfalls mit anwaltliche Dienstleistungen zum Festpreis und der Vermittlung von Anwälten auf. Besondere Aufmerksamkeit erzielten die Gründer auch, weil zu ihren Investoren mit Legalzoom der Marktführer aus den USA zählt. Jüngstes Mitglied in diesem Marktsegment ist die erst im Frühjahr 2016 gestartete Plattform rightmart.de. Der Macher firmiert als Kanzlei und bietet aktuell die kostenlose Prüfung von Hartz-IV-Bescheiden und Fluggastentschädigungen, bei Erfolgsaussichten auch die Durchsetzung der Ansprüche. Lösungen für Bußgeldbescheide, Verkehrsunfälle und Abmahnungen sollen bald folgen.2/2: Lösungen für einzelne Rechtsprobleme, massentauglich aufbereitet: flightright und Co.
Spezialisierter als diese Plattformen, die Angebote für rechtlich unterschiedlich gelagerte Fragestellungen bereitstellen, arbeiten zahlreiche Startups, die sich auf die in weiten Teilen automatisierte und dadurch massentaugliche Lösung einzelner rechtlicher Fragestellungen konzentrieren. Beispielhaft sind die Fluggastrechte: Marktführer flightright.de hat bereits für über 600.000 Kunden Entschädigungen für Flugverspätungen und -ausfälle erstritten, nach eigenen Angaben Ansprüche im Gesamtwert von über 60 Millionen Euro. Der kleine Markt ist besonders umkämpft, und er zeigt auch, wie schnell erfolgreiche Modelle kopiert oder weiterentwickelt werden können. Allein in diesem Bereich gibt es gut ein Dutzend weiterer Anbieter wie wirkaufendeinenflug.de, euflight.de und compensation2go.com. Ähnliche Geschäftsmodelle für einzelne Rechtsprobleme bieten z.B. bahn-buddy.de (Entschädigung bei Bahnverspätungen), bankright.de und rechtohnerisiko.de (Rückforderung von Immobilienkrediten), geblitzt.de (Prüfung von Bußgeldbescheiden) sowie myright.de (Teilnahme an Sammelklage gegen VW).Lösungen für Anwälte: Aufträge outsourcen, Mandanten beraten, Mitarbeiter einstellen
Einen anderen Weg geht klientus.de. Das Startup aus Lübeck bietet Mandantenberatung über ein sicheres Webmeeting an. Auf der Webseite von Klientus können Anwälte in wenigen Schritten einen virtuellen Raum für die Online-Beratung erstellen. Die Arbeit des Anwalts erleichtern möchte auch das Bremer Team von edicted.de. Auf der Legal-Outsourcing-Plattform können Juristen Aufträge an Rechtsanwälte, Referendare oder Jurastudenten vergeben, vom Gutachten über die Schriftsatzerstellung bis hin zum Fachartikel. Selbst einen geeigneten Terminsvertreter kann man mittlerweile problemlos online finden und beauftragen. Unter anderem advoassist.de und terminsvertretung.de vermitteln im gesamten Bundesgebiet. Legal Tech hat aber auch das Recruiting in der Rechtsbranche verändert. Über den Stellenmarkt der LTO zum Beispiel können Arbeitgeber potenzielle Bewerber heutzutage gleich über neun verschiedene digitale Kanäle erreichen. Rein auf den Absolventen-Markt spezialisiert haben sich neue Anbieter wie talent-rocket.de und lawyered.me. Das im Online-Dating erfolgreiche Prinzip der App Tinder wollen legalhead.de und lawconex.de im Rechtsmarkt etablieren: Mit einem Wisch können Arbeitgeber und Kandidat anonym entscheiden, ob die jeweils andere Seite für sie interessant ist. Erst bei einem sog. Match, wenn also beide Seiten sich positiv entschieden haben, werden die Parteien zusammengebracht. Ein neues Angebot für Rechtsanwälte ist richterscore.de. Auf der Webseite können Rechtsanwälte Richter bewerten und vorhandene Bewertungen für die eigenen Verfahren nutzen.
Do-It-Yourself: Dokumente erstellen, verwalten und überwachen leicht gemacht
Daneben gibt es zahlreiche Legal-Tech-Anbieter für die automatisierte Erstellung und das Management von Rechtsdokumenten. Mit Services wie Aboalarm.de und volders.de etwa können Privatkunden Verträge und Mitgliedschaften verwalten und kündigen. Einen Service nicht nur zur Erstellung, sondern auch zum Management von Rechtsdokumenten bietet das LTO-Schwesterportal smartlaw.de seinen Privat- und Unternehmenskunden. Eine automatisierte Benachrichtigungsfunktion informiert über rechtliche Änderungen, sollte für den Kunden Handlungsbedarf bestehen. Wie smartlaw.de bieten auch agreement24.de, Janolaw.de und neuerdings Wonderlegal ihren Klienten die Möglichkeit, durch einen einfachen Frage-Antwort-Dialog individualisierte Rechtsdokumente selbst zu erstellen. Janolaw hat sich insbesondere auf Online-Shops spezialisiert, die zusätzliche Dienste wie Abmahnschutz und Update-Services nutzen können.Für Juristen: Dokumente professionell erstellen, analysieren, verwalten und überwachen
Die Automatisierung noch komplexerer Arbeitsprozesse leisten die Startups, die Experten als Legal Tech im engsten Sinne ansehen. Sie adressieren Anwälte und Unternehmen. Die cloudbasierte Software von Leverton ermöglicht es, große Mengen von Dokumenten (derzeit vor allem Immobilienverträge) automatisiert zu analysieren. Juristen in Kanzleien und Rechtsabteilungen müssen diese dann nicht mehr individuell durcharbeiten. Lexalgo.de bietet die Möglichkeit, für rechtliche und wertungsgeprägte Sachverhalte unstrukturierte Daten automatisiert oder teilautomatisiert zu strukturieren und anzureichern. Das soll den Entscheidungsprozess bei Rechtsfragen vereinfachen und beschleunigen. Busylamp.com ist eine Abrechnungs-Plattform, auf der Anwaltskanzleien und ihre Mandanten einen transparenten Überblick über Bearbeitungsstände und Kosten bekommen. Noch recht ruhig ist es hingegen ausgerechnet in dem Bereich, den man als die Mutter von Legal Tech bezeichnen kann. Bei der Kanzleisoftware und den juristischen Datenbank- und Wissensmanagement-Lösungen bestimmen bislang eher die etablierten Anbieter den Markt. So entwickeln u.a. RA Micro, Annotext und Renostar bzw. Beck-Online, Juris und Jurion ihre Lösungen kontinuierlich weiter. Bei aller Euphorie rund um Legal Tech: So ganz kurzfristig wird sich der Arbeitsalltag des Juristen wahrscheinlich noch nicht komplett wandeln. Wer als Anwalt allerdings darauf setzt, dass auch in zehn Jahren Computer, Diktier- und Faxgerät für die erfolgreiche Teilnahme am Rechtsmarkt ausreichen, könnte eine böse Überraschung erleben. Auch wenn heute niemand ganz genau weiß, wie sie aussehen wird: Die Rechtswelt 2026 wird eine andere sein. Der Autor Ingo Mahl, LL.M., ist Rechtsanwalt und Leiter des Geschäftsbereichs Legal Digital Information, Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Nachtrag, 06.09.2016, 9:35h: Einen guten Überblick über den Markt bietet auch diese Grafik.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2016 M09 2
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