Erwerb einer etablierten Kanzlei

Das gemachte Nest

von Sabine OlschnerLesedauer: 4 Minuten
Eine bestehende Kanzlei übernehmen oder eine eigene Anwaltspraxis gründen: Vor dieser grundsätzlichen Frage stehen Rechtsanwälte, die sich selbstständig machen wollen. Was ist bei einem Kanzleierwerb zu beachten?

Gründe für den Verkauf einer Kanzlei gibt es viele: Der Anwalt geht in Ruhestand; er will sich beruflich verändern und nicht mehr als Anwalt arbeiten; er plant einen Umzug in eine andere Stadt … Gleich welcher Grund vorliegt: Für die Kanzlei wird ein Nachfolger gesucht. Eine gute Gelegenheit also für Anwälte, die gern eine eigene Kanzlei leiten möchten, aber nicht den mühevollen Weg einer Neugründung aus dem Nichts heraus gehen wollen - ohne eine bestehende Reputation etwas aufzubauen, ist schließlich nicht leicht. Der Kauf einer laufenden Kanzlei hingegen bietet viele Vorteile: Der Anwalt kann die Mandanten seines Vorgängers übernehmen, er bekommt eingearbeitete Mitarbeiter, die die bewährten Arbeitsabläufe kennen, Kanzleiräume und Technik sind vorhanden. Klingt doch nach einem perfekten Deal – oder? Die Probleme, die bei einer Kanzleiübernahme auftreten können, liegen allerdings im Detail. Daher sollten Interessierte sich vorab genau über das Kaufobjekt informieren.

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Mindestens 20 Prozent Rendite

Jochen Muth, Experte in der Kanzleivermittlung für Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Rechtsanwälte, rät Anwälten, die einen Kanzleiankauf erwägen: "Man sollte sich die Rechtsgebiete und die Mandantenstruktur des Vorgängers genau anzuschauen: Passen diese zu meinen eigenen Erfahrungen und Vorstellungen? Bearbeitet mein Vorgänger vielleicht Spezialgebiete, die ich gar nicht abdecke? Sind die Mandanten gewerblich, sodass ich längerfristig mit ihnen planen kann, oder sind es einmalige Aufträge von Privatleuten?", zählt der Geschäftsführer der Fuldaer Unternehmensvermittlung einige der Aspekte auf, die zu beachten sind. Wichtig ist auch ein Blick in die betriebswirtschaftlichen Auswertungen: Welcher Umsatz wird mit welchen Rechtsgebieten erzielt? Wie gestaltet sich die Kostenstruktur? Welche Forderungen stehen offen? Hier empfiehlt Muth einen Blick auf die Umsatzrendite: "Liegt diese unter 20 Prozent, stimmt etwas nicht mit der Kanzlei", so seine Warnung. Nicht immer ist es leicht, eine Kanzlei von außen zu beurteilen. "Daher nutzen einige Kaufinteressenten die Gelegenheit, den Inhaber zunächst über eine Anstellung oder als Freiberufler kennenzulernen, bevor sie sich für den endgültigen Kauf entscheiden", berichtet Jochen Muth. Auch eine Beteiligung statt des Kaufs der kompletten Kanzlei ist möglich – oder eine vorläufige Beteiligung, die erst später auf 100 Prozent aufgestockt wird. Dies bietet dem "Neuen" die Chance, die Mandanten kennenzulernen und sie an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie es künftig mit einem neuen Rechtsanwalt zu tun haben werden.

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2/2: Drum prüfe, wie lange man sich bindet

"Bei einer Beteiligung sollte man in einem Partnerschaftsvertrag genau festlegen, welche Rolle die beiden Partner haben", betont Manfred Hinz, Fachberater für Rechtsanwälte bei der Kölner Unternehmensvermittlung Glawe GmbH. "Sind die Partner gleichberechtigt? Können Entscheidungen einseitig oder nur mit dem Einverständnis beider beschlossen werden? Und bei einer späteren Komplettübernahme: Wie lange will der ehemalige Alleininhaber überleiten, bevor er seinem Partner die Kanzlei alleinverantwortlich überlässt?" Anwälte, die ihre Kanzlei langjährig betrieben haben, können manchmal nur schwer ihr Lebenswerk loslassen und bleiben unter Umständen länger in der Kanzlei, als dem neuen Anwalt lieb ist. Bestehendes Personal zu übernehmen, kann für den Käufer von Vorteil sein – zur Übernahme verpflichtet ist er unter den Voraussetzungen des §613a BGB* ohnehin. Wahrscheinlich hat die Sekretärin einen guten Draht zu den Mandanten, und die Mitarbeiter sind ein eingespieltes Team. Allerdings kann es auch passieren, dass die Organisationsstrukturen uneffizient sind oder das Team doch nicht so gut ist, wie erwartet. Das herauszufinden, gestaltet sich oft schwierig: "Das Personal vor dem Kauf kennenzulernen, ist nicht ratsam", weiß Manfred Hinz. "Denn die Angestellten erfahren in der Regel erst nach Vertragszeichnung, dass es demnächst einen neuen Kanzleiinhaber geben wird." Diskretion ist also angesagt bei den Recherchen rund um das gewünschte Kaufobjekt.

Vier Interessenten für einen Kanzleiverkauf

Auch beim Käufer selbst kann Diskretion wichtig sein, zum Beispiel, weil er sich während der Suche nach einem passenden Kaufobjekt noch in einem Angestelltenverhältnis befindet oder sich als Partner von seiner bisherigen Kanzlei lösen will. "Hier ist das Einschalten eines Unternehmensvermittlers besonders sinnvoll", meint Hinz, der – ebenso wie sein Kollege von der Unternehmensvermittlung Muth – seine Kunden von der Suche nach einer Anwaltspraxis bis zu den Vertragsverhandlungen begleitet. Steht eine Komplettübernahme bevor, stellt sich noch die Frage: Soll der Name der Kanzlei beibehalten werden – oder kommt mit dem Nachfolger auch ein neues Namensschild an die Tür? Manfred Hinz gibt zu bedenken, dass ein langjähriger Kanzleiname am Ort etabliert ist und bei den Mandanten einen gewissen Ruf hat. "Diesen Vorteil sollte man nicht leichtfertig durch eine grundlegende Namensänderung verspielen", so sein Rat. Auch hier kann der sanfte Übergang mit einem Teilhaber, der zunächst mit auf dem Briefkopf erscheint, sehr hilfreich sein. Ein Kanzleikauf kann also viele Unwägbarkeiten mit sich bringen. Hinzu kommt: Wer mit dem Gedanken spielt, eine bestehende Kanzlei zu übernehmen, trifft meistens auf Mitbewerber. "Auf einen Verkäufer kommen rund vier Kaufinteressenten", weiß Vermittler Jochen Muth. Trotzdem lohnt es, diese Option ins Auge zu fassen. Denn wer eine gutlaufende Kanzlei erwirbt, hat sicherlich einen einfacheren Start als ein Existenzgründer, der sich seinen Ruf und seine Mandantschaft erst schwer erarbeiten muss. * Anm. d. Red.: Hier war zunächst vom Arbeitsschutzgesetz die Rede. Geändert am 18.11.2016, 10:49.

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