Rentenversicherung nach dem BSG-Urteil

"Doppelte finanzielle Belastung für Unternehmensjuristen"

Interview mit Martin SchafhausenLesedauer: 5 Minuten
Syndikusanwälte können sich nicht von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen. Zwei Wochen nach den Urteilen des BSG erklärt Martin Schafhausen, welche enorme finanzielle Belastung das gerade für junge Juristen bedeuten kann. Doppelte Beiträge könnten sie davon abhalten, einen Job in einer Rechtsabteilung anzunehmen. Und er rät, was Syndizi jetzt tun sollten.

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LTO: Unternehmensjuristen können sich nicht von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) Anfang des Monats in letzter Instanz entschieden (Urt. v. 03.04.2014, Az. B 5 RE 13/14 R u.a.). Haben Sie damit gerechnet? Schafhausen: Es kam nicht ganz überraschend. Auch der Bundesgerichtshof, das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof haben sich in ihrer Rechtsprechung bereits an der Doppel-Berufe-Theorie orientiert, wonach ein Syndikus nur in seiner freiberuflichen Tätigkeit außerhalb seines Dienstverhältnisses ein unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit Rechtsanwalt sein kann. Außerdem ist der 5. Senat des BSG auch eher als versicherungsfreundlich bekannt. In ihrer Deutlichkeit und Reichweite geht die Entscheidung aber dann doch über das hinaus, was ich befürchtet hatte. Es wäre schlimm genug gewesen, wenn das BSG die Vier-Kriterien-Theorie der Deutschen Rentenversicherung (DRV), die das Landessozialgericht Baden-Württemberg aufgegriffen hatte,  aufrechterhalten und konkretisiert hätte. Aber dass die Kasseler Richter sagen, dass ein Syndikus in seiner Tätigkeit für das Unternehmen überhaupt nicht als Rechtsanwalt tätig ist, das war dann doch überraschend.

"Befreiung würde Unternehmensjuristen nicht schutzlos stellen"

LTO: Man hört es schon ein bisschen heraus – Sie halten nicht viel von der Entscheidung? Schafhausen: Ich halte sie für falsch. Das BSG stellt darauf ab, wie die Allgemeinheit den Anwaltsberuf wahrnimmt, und meint dabei zu erkennen, dass ein Unternehmensjurist nicht als Anwalt gesehen wird. Den Ansatz halte ich für falsch. Es geht nicht darum, wie die Allgemeinheit den Anwaltsberuf wahrnimmt. Das BSG Martin Schafhausenverschließt die Augen davor, dass das aus dem vergangenen Jahrhundert stammende Anwaltsbild schon lange nicht mehr überwiegt. Natürlich gibt es den Einzelanwalt oder die kleine Sozietät noch. Aber daneben gibt es eben viele Kanzleien mit hunderten von Anwälten und unabhängige Rechtsabteilungen in großen Unternehmen. Das BSG argumentiert außerdem mit der generellen Schutzbedürftigkeit eines abhängig Beschäftigten. Das greift aber zu kurz. Denn es ist ja nicht so, dass Unternehmensjuristen mit der Befreiung von der Rentenversicherung einen entsprechenden Schutz verlieren würden. Es gibt nun mal neben der Deutschen Rentenversicherung (DRV) ein weiteres Versicherungssystem für die freien Berufe – nämlich die Versorgungswerke. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht stellt Unternehmensjuristen deshalb nicht schutzlos, sondern ermöglicht ihnen, nur in das Versorgungswerk einzuzahlen. LTO: Wird eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BSG Erfolg haben? Schafhausen: Es sollte auf jeden Fall versucht werden.

"Vertrauensschutz-Regelung noch sehr unklar"

LTO: Mit welchen Problemen müssen Unternehmensjuristen nun rechnen? Schafhausen: Die Urteils-Passage zum Bestandsschutz wird ein Problem werden. In seiner mündlichen Urteilsbegründung hat sich das BSG nur zum Vertrauensschutz für Inhouse-Juristen geäußert, die bereits eine Befreiung haben. Diese dürfen ihre Befreiung behalten - allerdings nur, solange sie ihren Job nicht wechseln. Seit einem Urteil des BSG aus 2012 steht nämlich fest, dass schon eine neue Tätigkeit oder eine Beförderung im aktuellen Unternehmen neu bewertet werden muss (BSG, Urt. v. 31.10.2012, Az. B 12 R 3/11 R). Gar nichts gesagt hat der Senat aber dazu, was mit denjenigen passiert, die einen Befreiungsantrag gestellt haben, über den noch nicht entschieden worden ist. LTO: Auch der Wechsel auf eine andere Stelle innerhalb eines Unternehmens kann also dazu führen, die Befreiung zu verlieren? Schafhausen: Das ist alles noch ziemlich unklar. Bleibt man zwar im selben Unternehmen, bekommt aber wesentliche Aufgaben dazu, wird es kritisch. Wobei die DRV etwa sagt, dass ein Arzt im Krankenhaus, der zum Oberarzt befördert wird, aber in der Abteilung bleibt, seinen Befreiungsbescheid behält. Dieser Punkt wird einer der Schwerpunkte der kommenden Auseinandersetzung sein. Vielleicht erreicht man da aber auch eine Absprache mit der Rentenversicherung. LTO: Wie haben die DRV und die Versorgungswerke bisher reagiert? Schafhausen: Die Rentenversicherung will die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. Die Versorgungswerke werden sicher wie in der Vergangenheit auch das Gespräch mit der Rentenversicherung suchen, um offene Fragen zu klären.

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2/2: "Ich wüsste nicht, wie man da tricksen könnte"

LTO: Was raten Sie Unternehmensjuristen? Schafhausen: Nach dem Urteil des BSG ist völlig klar: Abhängig beschäftigte Rechtsanwälte in einem nicht-anwaltlichen Unternehmen können nicht von der Rentenversicherung befreit werden. Trotzdem sollten sie einen Befreiungsantrag stellen, soweit sie das noch nicht getan haben oder wenn sie ihren Job wechseln. Sie müssen derzeit zwar sicher damit rechnen, dass der Antrag abgelehnt wird. Solange die Rechtslage nicht klar ist, sollten sie den Bescheid aber nicht rechtskräftig werden lassen, sich also dagegen wehren. Dieser Rat ist aber aus der aktuellen Situation geboren. Das kann in einem halben Jahr, wenn Klarheit über die Vertrauensschutzregeln besteht, ganz anders aussehen. LTO: Kann man denn irgendwie tricksen, um doch eine Befreiung zu bekommen? Schafhausen: Ich wüsste nicht wie.

"Unternehmensjuristen müssen jetzt in zwei Systemen versichert sein"

LTO: Glauben Sie, dass diese Rechtsprechung Juristen davon abhalten wird, als Syndikus tätig zu werden? Schafhausen: Ganz sicher, weil sich das auf ihre Rente auswirken wird. Ein als Anwalt zugelassener Unternehmensjurist ist ja Mitglied in der Rechtsanwaltskammer, das zieht die Mitgliedschaft im Versorgungswerk nach sich mit einer Beitragspflicht. Daneben besteht nun aber die Verpflichtung, in die gesetzliche Rentenversicherungskasse einzuzahlen. Unternehmensjuristen müssen dann also in zwei Versicherungssystemen versichert sein. Mit Blick auf die spätere Versorgung ist das natürlich ein Vorteil. Was die laufenden Kosten betrifft, kann die doppelte Beitragspflicht aber ein Problem sein, gerade für junge Kollegen mit Familien. LTO: Kann es sich auch negativ auf die Kassen der Versorgungswerke auswirken, wenn Unternehmensjuristen in Zukunft gar nicht mehr oder nur sehr wenig einzahlen? Schafhausen: Davon gehe ich nicht aus. Das System ist kapitalgedeckt, das heißt, die Leistungen werden aus den eingezahlten Geldern erbracht. Wenn man also von den Unternehmensjuristen künftig kein Kapital oder zumindest weniger bekommt, muss man an diese auch nur noch niedrigere Leistungen erbringen. Ein unmittelbares Risiko für die Versorgungswerke sehe ich daher nicht. LTO: Sollte der Gesetzeber etwas an der aktuellen Rechtslage ändern? Schafhausen: Die Frage ist, wer bestimmt, was eine anwaltliche Tätigkeit ist. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat im Vorfeld des BSG-Urteils klargestellt, dass wir Anwälte auch unsere Syndikus-Kollegen als Anwälte sehen. Der Gesetzgeber könnte das nun in § 46 der Bundesrechtsanwaltsordnung ausdrücklich regeln und damit Klarheit schaffen. LTO: Beziehungsweise nicht nur Klarheit, sondern das Urteil des BSG revidieren? Schafhausen: Es wäre ein klares Signal dafür, dass auch der Gesetzgeber das Urteil kritisch sieht. Martin Schafhausen ist im Vorstand des DAV und Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der ARGE Sozialrecht. Als Anwalt der Frankfurter Kanzlei Plagemann Rechtsanwälte vertritt er Kollegen und Arbeitgeber in Befreiungssachen. Die Fragen stellten Pia Lorenz und Claudia Kornmeier.

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