Nicht alles mit den Kollegen ist Arbeit
Wenn Arbeitnehmern während der Arbeitszeit und in Ausübung der Arbeitstätigkeit ein Unfall passiert, liegt regelmäßig ein sog. "Arbeitsunfall" vor und die Berufsgenossenschaft haftet als gesetzlicher Unfallversicherer. Und selbstverständlich greifen die gesetzlichen bzw. privaten Unfall- oder Krankenversicherungen des Arbeitnehmers bei einem Unfall in seiner Freizeit.
Doch wann genau liegt noch etwas "während der Arbeitszeit" oder "in Ausübung der Tätigkeit"? Wer haftet bei einer Verletzung beim kollektiven Eisstockschießen samt Glühwein mit den Kollegen auf dem Weihnachtsmarkt? Oder beim Fußballturnier mit einem Kanzlei-Team gegen eine Justizabordnung?
Schubsen als berufliche Kritik
Klar ist, dass ein Arbeitsunfall mit Haftung der Berufsgenossenschaft vorliegt, wenn ein versicherter Arbeitnehmer diesen bei einer der in den §§ 2, 3 oder 6 Sozialgesetzbuch (SGB) VII genannten Tätigkeiten erleidet. Dazu muss die Verrichtung des verunfallten Arbeitnehmers zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein, die Verrichtung der Tätigkeit zu dem Unfallereignis geführt haben und das Unfallereignis eine Gesundheitsschädigung oder den Tod des versicherten Arbeitnehmers verursacht haben.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) bejaht beispielsweise eine betriebliche Tätigkeit und damit einen Arbeitsunfall bei einem Stoß vor die Brust, mit dem der Arbeitnehmer die Leistung eines Arbeitskollegen beanstandet. Das BAG verneint hingegen eine betriebliche Tätigkeit und einen Arbeitsunfall, wenn ein Auszubildender mit einem Autoreifen-Wuchtgewicht von 10g in Richtung eines Kollegen wirft.
Entgegen weitläufiger Annahme zählt auch der Weg vom Wohnort des Arbeitnehmers zum Arbeitsort und zurück zählt weder bei der Arbeitszeit, noch bei der Vergütungspflicht und auch bei der Haftung nicht zur betrieblichen Tätigkeit. Unfälle, die Arbeitnehmer auf dem Arbeitsweg erleiden, fallen nicht unter ein betrieblich veranlasstes Risiko, zählen zum Privatrisiko des Arbeitnehmers und sind kein Arbeitsunfall.
Auch bei vorsätzlichen Handlungen – selbst wenn diese während der Arbeitszeit und in Ausführung von Arbeitstätigkeiten eine Verletzung/einen Schaden verursachen, liegt kein Arbeitsunfall vor. Die vorsätzlich handelnde Person haftet selbst gegenüber dem Geschädigten.
Im Urlaub explodiertes Diensthandy
Schwieriger ist die Einordnung bei gemischten Tätigkeiten. Das Kaffeeholen oder Ausräumen des büroeigenen Geschirrspülers und vor allem: Das Telefonieren im Urlaub, wenn der Arbeitnehmer privat im Urlaub am Strand liegt und der Akku seines dienstlichen Mobiltelefons während eines dienstlichen Telefonats explodiert. Ein Arbeitsunfall liegt nur dann bei gemischten Tätigkeiten vor, wenn die dienstliche Tätigkeit für den Eintritt des Unfalls die wesentliche Ursache ist – das dienstliche Telefonat also ist ein Arbeitsunfall, Kaffeeholen und Leeren des Geschirrspülers sind es nicht.
Die Abgrenzung zwischen privatem und dienstlichem Bereich ist noch schwerer zu treffen, wenn zugleich private und dienstliche Belange erfüllt werden. So etwa bei Sport- oder sonstigen Aktivprogramme mit Kollegen unter einem gewissen Deckmantel des Arbeitgebers. Dann ist entscheidend, ob dem dienstlichen Bereich oder dem privaten Bereich Vorrang zukommt.
Monatliches Sportkegeln ist betrieblich
Bei Unfällen im Betriebssport oder bei sonstigen aktiven betrieblichen Veranstaltungen lägen Arbeitsunfälle vor, wenn die Aktivitäten dem Ausgleich für die Belastung durch die betriebliche Tätigkeit dienen. So akzeptierten die Gerichte bereits Sportarten wie Tennis, Bergsteigen, Fußball, Radfahren und auch Kegeln als betriebliche Veranstaltungen. Bei Skat- oder Schachspielen hat das Bundessozialgericht (BSG) jedoch Zweifel (BSG, Urt. v. 24.08.1976, Az. 8 RU 152/75).
Um als Arbeitsunfall zu gelten, darf die Teilnahme am Sport nicht dem reinen Wettkampf dienen. Die Abgrenzung ist problematisch, da viele Sportarten Wettkampfcharakter haben und Gegner voraussetzen (Tennis, Fußball, Boxen). Unproblematisch liegt ein "Wettkampf" nicht vor, wenn Spiele zwischen Betriebssportgruppen verschiedener Unternehmen ausgetragen werden – so wie beim Fußballspiel zwischen Anwaltsteams und der Justiz oder Kanzleien untereinander.
Allerdings liegt ohne die Wettkampfmentalität noch nicht zwangsläufig eine betriebliche Veranstaltung vor. Vielmehr muss die Aktivität mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattfinden. Als "regelmäßig" anerkannt hat das BSG beispielsweise einmal monatliches Sportkegeln – das allerdings wohl als untere Grenze. Bei lediglich jährlich wiederkehrenden Events mit sportlichen Elementen lehnen die Sozialgerichte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls regelmäßig ab.
Mehr als gemeinsam nach der Arbeit
Wichtig ist im Übrigen, dass der Teilnehmerkreis im Wesentlichen auf die Beschäftigten des Unternehmens oder der an der gemeinsamen Durchführung des Betriebssports beteiligten Unternehmen beschränkt ist. Es ist nicht erforderlich, dass ein bestimmter Anteil der Belegschaft sich beteiligt, er muss jedoch der ganzen Belegschaft offenstehen und ein angemessenes Verhältnis zwischen der betrieblichen Tätigkeit und der Ausgleichsaktivität bestehen.
Auf die Aktivität muss das Unternehmens Einfluss nehmen können: Gehen die Mitarbeiter also lediglich gemeinsam nach der Arbeit zu einem vom Arbeitgeber losgelösten Sportangebot, so ist dies natürlich eine Privatangelegenheit. Auch die Duldung der sportlichen Aktivitäten durch den Arbeitgeber reicht nicht aus, um einen Betriebsunfall herzuleiten. Bei einer fast schon verpflichtenden Bowling-Aktion ein einer Tagung mit einem Partnerunternehmen erkannte das Sozialgericht (SG) Aachen jedoch sogar auf die Erfüllung einer Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis und erkannte auf einen Arbeitsunfall (SG Aachen, Urt. v. 06.10.2017, Az.: S 6 U 135/16).
Skifahren als Angebot oder Pflicht?
Doch was ist beim Betriebssport oder bei Team-Building-Maßnahmen? Da ist die Abgrenzung zwischen Arbeits- oder privatem Unfall nicht einfach. Bei einem Fußballturnier, an dem von vorneherein nicht nur dem Unternehmen angehörige Personen sondern auch Familienangehörige und Bekannte teilnehmen dürfen, lehnt das BSG eine betriebliche Veranstaltung ab.
Auch bei Skirennen mit/gegen andere Betriebssportgemeinschaften oder bei mehrtägigen Skiausfahrten greift nach dem BSG in aller Regel kein betrieblicher Unfallschutz. Anders kann das nur sein, wenn die Teilnahme verpflichtend ist oder der Arbeitgeber der Veranstalter ist. So bestand für Studierende auch bei einem Skikurs in der Schweiz nach dem BSG Versicherungsschutz. In dem Fall hatte der Hochschulsport der Universität die Fahrt angeboten, die Uni die Fahrt organisiert und durchgeführt und der Kreis der Teilnehmer war im Wesentlichen auf Studierende beschränkt (BSG, Urt. v. 04.12.2014, Az. B 2 U13/13 R).
Bloße Angebote reichen allerdings für eine betriebliche Tätigkeit nicht aus, entschied das LSG Hessen in Bezug auf die Möglichkeit zum Skifahren während einer Tagung (LSG Hessen, Urt. v. 20.07.2015, Az. L 9 U 69/14). Auch das Bayerischen Landessozialgericht befand es liege keine versicherte Gemeinschaftsveranstaltung vor, wenn die Teilnahme an einer vom Unternehmen finanzierten und organisierten Freizeitveranstaltung zur Auflockerung eines Meetings ausgewählter Beschäftigter und für das Betriebsklima, die kollegiale Zusammenarbeit und ein gegenseitiger Austausch erfolgt. Die bloße Bezeichnung einer Freizeitveranstaltung für Teil der Belegschaft als "Teambuilding-Maßnahme" ohne zielgerichteten konzeptionellen Hintergrund im Sinne einer personalen Entwicklungsmaßnahme ergebe keinen Versicherungsschutz (LSG Bayern, Urt. v. 24.10.2018, Az. L 2 U 300717).
Schutz bei Outdoor-Meetings
Und was ist mit einer Bergwanderung, auf der auch über betriebliche Themen einschließlich des jeweiligen Führungsstils gesprochen wird ("Outdoor-Meeting")? So rutschte ein Teilnehmer auf nassem Gestein aus und verletzte sich. Das LSG Baden-Württemberg entschied: Das Ausrutschen ist der Wanderung zuzuschreiben, die keinen betrieblichen Bezug aufgewiesen habe.
Bei den anstehenden Weihnachtsfeiern wird das anders sein: Das ist eine versicherte Arbeitgeberveranstaltung, wenn der Arbeitgeber zu einer offiziellen vom ihm organisierten und durchgeführten Weihnachtsfeier einlädt. Der Versicherungsschutz besteht auch dann, wenn Alkohol getrunken wird. Allerdings nur auf dieser Feier: Wer nach dem offiziellen Ende noch mit den Kollegen auf einen "Absacker" weiterzieht, macht das privat.
Dr. Erik Schmid ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Beiten Burkhardt. Er berät nationale und internationale Unternehmen in allen arbeitsrechtlichen Themen, insbesondere in dem Bereich der Unternehmensmitbestimmung.
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2019 M12 4
Arbeitsunfall
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