Bestenauslese beim Auswärtigen Amt

"Bei uns zählt mehr als die Examensnote"

Interview mit Sabine StöhrLesedauer: 6 Minuten
Keine Institution ist bei den Nachwuchsjuristen so beliebt wie das Auswärtige Amt. Doch der Weg in die deutschen Botschaften dieser Welt ist kein leichter, auch wenn ein Doppel-VB nicht verlangt wird. Es gilt ein hartes Auswahlverfahren zu überstehen. Was die Bewerber erwartet und warum es sich lohnt, sich dem Verfahren zu stellen, verrät Ausbildungsleiterin Sabine Stöhr im LTO-Interview.

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LTO: Frau Stöhr, in der Liste der häufig gestellten Fragen auf Ihrer Homepage heißt es, dass der Bedarf an Juristen und Volljuristen im Auswärtigen Amt derzeit besonders hoch sei. Woran liegt das? Eigentlich sind Beamte im Auswärtigen Dienst doch Generalisten, die alle paar Jahre in einem anderen Themenfeld arbeiten. Stöhr: Es gibt traditionell einen großen Bedarf an Juristen. Das liegt einerseits daran, dass das Rechts- und Konsularwesen einen wichtigen Aspekt unserer Arbeit ausmacht, ebenso wie die völkerrechtlichen Zusammenhänge. Dazu kommt, dass wir uns mit Politik beschäftigen und dass der Ansatz und die Denkweise von Juristen in Bezug auf politische Sachverhalte ein sehr wertvoller und wichtiger ist.

"Der Blickwinkel der Juristen ist sehr wichtig"

LTO: Warum ist die Denkweise der Juristen so wichtig? Stöhr: Schauen Sie sich die Transformationen in den Ländern des arabischen Frühlings an. Dort ändern sich ja nicht nur die Politik, sondern auch die rechtlichen Grundlagen.  Wie ein Volk das Zusammenleben in seinem Land gestaltet, hängt zu einem ganz großen Teil damit zusammen, welche Gesetze erlassen werden. LTO: Haben Volljuristen prinzipiell eine größere Chance auf Einstellung als Juristen mit nur einem Examen? Und wie wichtig sind für Sie die Noten? Stöhr: Bei uns zählt mehr als die Examensnote. Jeder, der die formalen Voraussetzungen erfüllt, hat im Auswahlverfahren unabhängig von seinem Studienfach gleich gute Karten. Nur wenn wir am Ende mehr geeignete Bewerber haben als Plätze zu vergeben, können wir nach unterschiedlichen Bedürfnissen gezielt auswählen und so bei Bedarf beispielsweise Volljuristen bevorzugen. Bewerben kann man sich aber auch, wenn man nur über das erste Staatsexamen verfügt. LTO: Spielt das Alter bei der Einstellung eine Rolle? Stöhr: Bis 2009 gab es eine gesetzliche Altersgrenze von 32 Jahren, die inzwischen aber entfallen ist. Man kann allgemein sagen, dass man sich dann bewerben sollte, wenn man zu wissen glaubt, dass  der Auswärtige Dienst das Richtige für einen ist. Wir freuen uns über Bewerbungen von Berufserfahrenen und Berufseinsteigern gleichermaßen.

"Im letzten Jahr haben sich 1.700 Personen beworben – 45 haben wir ausgewählt"

LTO: Wie viele Bewerbungen hatten Sie im vergangenen Jahr für den höheren Dienst und wie viele Stellen waren zu besetzen? Stöhr: Im letzten Jahr haben sich 1.700 Personen beworben, von denen 1.350 am schriftlichen Test teilgenommen haben. 222 Bewerber haben wir zum mündlichen Auswahlverfahren eingeladen und aus diesen letztlich 45 Personen ausgewählt. LTO: Ein Teil des Auswahlverfahrens sind umfangreiche Multiple-Choice-Wissenstests. Mit welchen Anforderungen werden die Bewerber dabei konfrontiert?

Stöhr: Das schriftliche Verfahren testet intellektuelle Leistungsfähigkeit und Fachwissen. Englisch und Französisch – beziehungsweise die gewählte andere Zweitsprache – muss man auf gutem Niveau beherrschen. Außerdem muss man über Grundkenntnisse in Wirtschaft, Politik, Geschichte sowie Recht verfügen und ein gutes Allgemeinwissen besitzen. Ganz wichtig ist auch, dass man das aktuelle politische Geschehen verfolgt und sich Gedanken darüber macht, was derzeit die deutsche Außenpolitik bewegt. Maßstab für die Bewertung der Tests sind vor allem die Leistungen der Mitbewerber. Es lohnt sich also in jedem Fall, es zu versuchen. LTO: Es gibt ja auch kommerzielle Anbieter von Vorbereitungsmaterialien.  Sind diese Unterlagen besonders empfehlenswert? Stöhr: Das möchte ich nicht kommentieren. Es gibt jedenfalls niemanden, der mit uns zusammenarbeitet oder über sonstige "Insider-Informationen" aus dem Auswahlausschuss verfügt – auch wenn einige dieser Anbieter diesen Eindruck erwecken wollen.

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2/2: "Viele Bewerber scheitern am Intelligenztest"

LTO: Woran hapert es im schriftlichen Auswahlverfahren bei den Bewerbern denn am ehesten? Stöhr: Neben den Wissenstests gibt es auch noch einen Test, mit dem die intellektuelle Verarbeitungskapazität überprüft wird. Daran scheitern viele Bewerber. Andere unterschätzen die Anforderungen der Sprachtests. Der Englischtest beispielsweise ist auf dem Niveau C2 des europäischen Referenzrahmens. Für die Zweitsprache muss man Kenntnisse auf dem Niveau C1/B2 nachweisen – das sind also schon anspruchsvolle Tests. Außerdem muss auch immer ein Aufsatz zu einem politischen Thema verfasst werden. Der wird anschließend wie in der Schule benotet. Da ist es wichtig, über aktuelle Themen informiert zu sein und die Argumentationslinie der Bundesregierung zu kennen, außerdem, die eigenen Gedanken klar und präzise zu Papier zu bringen. Es ist erstaunlich, dass dies einigen Bewerbern nicht leicht fällt. LTO: Nach dem schriftlichen Auswahlverfahren folgt der mündliche Teil. Wie läuft dieser konkret ab? Stöhr: Der Tag des mündlichen Auswahlverfahrens besteht aus fünf Teilen. Der erste Teil ist ein 20-minütiges strukturiertes Interview mit dem Prüfungsausschuss. Danach folgt ein Einzelgespräch mit einem Psychologen. Dieser hat lediglich beratende Funktion und soll vor allem Punkte ansprechen, die im vorherigen Interview zu kurz kamen – gleichzeitig hat auch der Bewerber im Einzelgespräch die Chance, bestimmte Punkte seinerseits vertiefen oder richtig zu stellen. Im Anschluss muss der Bewerber einen fünfminütigen Kurzvortrag halten, den wir Plädoyer nennen. Dabei muss er für eine bestimmte Position im Bereich der Außen-, Europa- oder Außenwirtschaftspolitik werben. In Betracht kommt auch das Werben für eine innenpolitische Position, die im Ausland von Interesse ist – ein Beispiel aus dem letzten Jahr ist die Haltung der Bundesregierung zur religiösen Beschneidung von Jungen. Abschließend warten zwei Gruppenaufgaben. In einer Diskussionsaufgabe müssen die Bewerber Argumente für ein zu förderndes Projekt sammeln, in der anderen gemeinsam etwas entwickeln – zum Beispiel  ein Konzept für eine Kulturveranstaltung oder eine Abgeordnetenreise.

"Man muss Außenpolitik mitgestalten wollen"

LTO: Können Sie vielleicht in einem Satz sagen, welchen Typ Mensch Sie suchen? Stöhr: In einem Satz geht das nicht, weil wir Generalisten suchen und unser Beruf so vielseitig ist. Wir suchen Menschen, die sich für Politik interessieren. Das ist ganz wichtig – man muss Außenpolitik mitgestalten wollen. Wir suchen Menschen, die intellektuell hoch leistungsfähig sind. Wir suchen Menschen, die interkulturell kompetent sind, weil wir viel mit anderen Kulturbereichen zu tun haben. Wir suchen Menschen, die sozial kompetent sind, weil unserer Arbeit darin besteht, Kontakte zu knüpfen – und natürlich auch, weil man im höheren Dienst immer auch eine Vorgesetztenfunktion hat. Und schließlich suchen wir Menschen, die sich gerne und gut schriftlich sowie mündlich ausdrücken – und die auch Freude daran haben, öffentlich aufzutreten. LTO: Können Sie Bewerbern abschließend noch einen Tipp für das Auswahlverfahren geben? Stöhr: Ich kann nur noch einmal betonen wie wichtig politisches Interesse und Verständnis sind. Man sollte die aktuellen Geschehnisse also nicht deswegen verfolgen, weil man sich auf ein Auswahlverfahren vorbereitet, sondern weil man sich wirklich dafür interessiert. Wenn man das tut, kann man die Tests gut bestehen. Im mündlichen Verfahren kommt es dann zusätzlich auf die Persönlichkeit und die Motivation an. Da sollte man sich vor allem authentisch geben. LTO: Frau Stöhr, ich danke Ihnen für das Gespräch. Sabine Stöhr ist seit 1995 beim Auswärtigen Amt beschäftigt und hat bislang Stationen im Protokoll und im Pressereferat sowie in Kiew und an der deutschen Ständigen Vertretung bei der OSZE in Wien durchlaufen. Seit 2009 ist sie stellvertretende Leiterin der Akademie Auswärtiger Dienst und Ausbildungsleiterin für den höheren Dienst. Weitere Infos zum Auswahlverfahren finden Sie auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes. Das Interview führte Jens Kahrmann.

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