Europa präsentiert sich meist als Raum unbeschränkter Freiheit. Doch diese hat ihre Grenzen, wenn es um den EU-Führerschein geht. Drei Deutsche hatten in Tschechien die Fahrberechtigung erworben, weil ihre Fahrerlaubnis in Deutschland eingezogen wurden. Das BVerwG entschied: Diese sind hierzulande nicht gültig. Das Ende des Führerscheintouristen, meint Adolf Rebler.
In drei Urteilen zu drei ähnlich gelagerten Fällen entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), dass eine Fahrerlaubnis, die von einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilt wird, nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtigt, wenn der Betroffene tatsächlich nicht im Ausstellungsstaat gewohnt hat (Urt. v. 25.08.2011, Az. 3 C 25.10, 28.10 und 9.11). Das gleiche gilt, wenn die Fahrerlaubnis vom ausländischen Staat erteilt wird, während in Deutschland noch eine Sperrfirst läuft.
Was eigentlich schon per Gesetz galt, hat nun das höchste deutsche Verwaltungsgericht klar gestellt. Danach entfaltet der im Ausland erworbene Führerschein in Deutschland erst gar keine Wirksamkeit und bedarf keiner zusätzlichen Einzelfallentscheidung durch die Behörde. Dass der Verordnungsgeber das so in § 28 FeV abstrakt-generell geregelt hat, ist nach der Entscheidung zulässig. Weder EU-Recht noch allgemeine Rechtsgrundsätze stehen einer gesetzlich geregelten unmittelbaren Ungültigkeit entgegen.
Die Kläger, denen ihre deutschen Führerscheine wiederholt wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss entzogen worden waren, hatten ihre Fahrerlaubnis in der Tschechischen Republik neu erworben. Das Problem war nur: Die stolzen Inhaber der neuen Fahrberechtigungen wohnten nie in Tschechien. Das ergab sich in einem Fall bereits aus den Angaben auf dem Führerscheindokument selbst; es war eine deutsche Adresse eingetragen. In einem weiteren Fall lagen hierzu unbestreitbare Informationen aus Tschechien vor. In der dritten Konstellation erhielt der Kläger in Tschechien seine Fahrerlaubnis, während in Deutschland noch die Sperrfrist für eine Neuerteilung lief. Mit der Zurückweisung aller Klagen hat das BVerwG dem Führerscheintourismus – nun wohl endgültig – einen Riegel vorgeschoben.
Blühende Führerscheingeschäfte durch EU-Osterweiterung
Doch wie war es überhaupt so weit gekommen? Die Anfänge dieser Art des Reiseverkehrs liegen zwanzig Jahre zurück. Um die Freizügigkeit ihrer Bürger als eine der Grundfreiheiten zu stärken, hatte die EU im Jahr 1991 mit der 2. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439/EWG) den einzelstaatlichen Führerschein nach EG-Muster eingeführt. Diesen hatten die Mitgliedstaaten gegenseitig anzuerkennen, und er musste bei einem Umzug nicht mehr umgetauscht werden. Aus Gründen der Verkehrssicherheit legt die Richtlinie Mindeststandards fest, die europaweit von jedem Mitgliedstaat zu beachten sind, wenn er einem Bewerber eine Fahrerlaubnis erteilen will.
Jeder Mitgliedstaat kann aber – zumindest für seine eigenen Bürger - im Bereich der ärztlichen Untersuchungen strengere Auflagen als die Mindeststandards der Richtlinie vorschreiben. So kam es, dass das gefürchtete "medizinisch-psychologische Gutachten" den meisten anderen EU-Staaten unbekannt ist. Bei dem "Idiotentest", der zur Klärung von Eignungszweifeln vor Neuerteilung einer Fahrerlaubnis vor allem bei wiederholtem Entzug des Führerscheins vorgelegt werden muss, (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 Buchst. a FeV), handelt es sich um ein deutsches Unikum.
An dieser Stelle wurde es für die Führerscheintouristen interessant: So manch Verzweifelter sah in der EU-Osterweiterung die Chance, während eines Kurztrips nach Tschechien oder Polen eine Prüfung abzulegen und damit ein auch in Deutschland gültiges Dokument zu erwerben.
EuGH beendet Machtlosigkeit deutscher Zulassungsbehörden
Den Ämtern in Deutschland waren in solchen Fällen lange Zeit die Hände gebunden: Art 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG ermöglicht es zwar jedem Mitgliedstaat, einem Verkehrssünder nach den jeweils geltenden nationalen Bestimmungen auch eine im Ausland erteilte Fahrerlaubnis zu entziehen. Dazu muss der Fahrerlaubnisinhaber im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde seinen Wohnsitz im diesem Staat haben, also dort mindestens 185 Tage im Kalenderjahr wohnen.
Zudem kann die Behörde nur Verkehrsverstöße ahnden, die nach Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis begangen worden sind. Denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist die Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung zum Zeitpunkt des Führerscheinerwerbs allein Sache des ausstellenden Mitgliedstaates (etwa Urt. v. 29.04.2004, Az. C-476/01; Urt. v. 26.06.2008 Az. C 334/06 bis 336/06). Der Besitz eines in einem Mitgliedstaat gültigen Führerscheins gilt als Nachweis dafür, dass der Inhaber des Dokuments am Tag der Erteilung ebendiese Voraussetzungen erfüllt hat.
Der EuGH macht allerdings eine wichtige Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein EG-Führerschein vorbehaltlos in jedem Mitgliedstaat anerkannt werden muss: Ergibt sich aus Eintragungen im Führerschein selbst ("Wohnort" mit deutscher Adresse) oder "aus anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen", dass die "Wohnsitzvoraussetzung" nicht vorgelegen hat, kann der "Aufnahmemitgliedstaat" (hier also Deutschland) die Anerkennung des ausländischen Führerscheins ablehnen. Das gleiche gilt, wenn der ausländische Staat eine Fahrerlaubnis erteilt, während noch eine Sperrfrist gegen den Betroffenen läuft (zum Beispiel EuGH, Beschl. v. 03.07.2008, C-225/07).
Diese EuGH-Rechtsprechung fand ihren Ausdruck in der 3. Führerscheinrichtlinie (2006/126/EG v. 20.12.2006), die der deutsche Gesetzgeber in dem seit 19. Januar 2009 geltenden § 28 Abs. 4 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) umgesetzt hat. Nach dessen Satz 1 Nr. 2 gilt die ausländische Fahrberechtigung nicht für Führerscheininhaber, wenn diese ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. Nach Nr. 4 gilt dasselbe für Personen, denen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
Grenzübertritt lässt Touristen zu Straftäter werden
Die Grundaussage des BVerwG fand sich also bereits seit 2009 im Gesetz. Das Leipziger Gericht hat nun nochmals und in aller Deutlichkeit entschieden, dass mit Erfüllung der Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 FeV kein behördlicher Bescheid mehr ergehen muss. Vielmehr ist die ausländische Fahrerlaubnis kraft Gesetzes ungültig. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift: "die Berechtigung gilt nicht…". § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV sieht lediglich vor, dass die Behörde (in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2) eine feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen kann – aber nicht muss.
Überdies muss man an einen solchen Verwaltungsakt nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts keine großen Anforderungen mehr stellen. Hier ist regelmäßig ausreichend, dass sich die Fahrerlaubnisbehörde zum Ziel setzt, den Betroffenen über die kraft Gesetzes geltende Rechtslage ins Bild zu setzen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Führerschein-Inhaber meint, dass er seine ausländische Fahrerlaubnis auch in Deutschland gebrauchen darf, beziehungsweise weil ein solcher weiterer Gebrauch zu erwarten ist (siehe auch schon Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.06.2011, Az. 16 B 72/11).
Fest steht nach alledem: Der Führerscheintourist, der sich nach Erhalt der tschechischen Fahrerlaubnis vermeintlich glücklich hinter das Steuer setzt, um die Heimreise nach Deutschland anzutreten, fährt ab Überschreitung der Grenze ohne Fahrerlaubnis. Der Schlagbaum markiert hier auch die Grenze zwischen erlaubtem Fahren im Ausland und einer Straftat nach Straßenverkehrsgesetz im Heimatland.
Der Autor Adolf Rebler ist Regierungsamtsrat in Regensburg und Autor zahlreicher Publikationen zum Straßenverkehrsrecht.
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Adolf Rebler, EU-Führerschein: . In: Legal Tribune Online, 30.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4148 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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