"In Interessen, nicht in Ansprüchen denken"
In Bayern gehören sie längst zum Alltag: Die rechtsgestaltenden Klausuren, auch als Kautelarklausuren bekannt, bilden im Freistaat bereits seit Anfang der 70er Jahre Teil des Prüfungsstoffs im Zweiten Staatsexamen. Ein praktisches Bedürfnis nach diesem Klausurtyp bestehe bereits deshalb, weil das Verfassen von Verträgen sowohl für viele Anwälte als auch für Notare zum Berufsalltag zählt, erläutert Gunnar Groh, Regierungsrat im Bayerischen Justizministerium und zuständig für die Zweite juristische Staatsprüfung. Das gelte besonders in Bayern, wo für den Zugang zum Notariat keine gesonderte Prüfung abgehalten werde. In der Wahrnehmung vieler Jurastudenten tritt der Anwalt vor allem als Vertreter seiner Mandanten vor Gericht auf. Das ist nicht verwunderlich, denn sowohl im Studium als auch im Referendariat hat man meist Sachverhalte zu lösen, in denen das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist: Die AGB sind unwirksam, der Vertrag wurde nicht formgerecht geschlossen oder der Unternehmer hat beim Verfassen seines Testaments nicht an den Pflichtteil seiner Kinder gedacht. In Wirklichkeit findet ein Großteil der Arbeit aber im außergerichtlichen Umfeld statt: Ein im Verfassen von Verträgen geschulter Anwalt vermeidet gerichtliche Auseinandersetzungen, indem er die Rechtsgeschäfte seiner Mandanten vorausschauend gestaltet.
Nicht ganze Vertragsmuster auswendig lernen
"Das nützt sowohl dem Mandanten, der sich langwierige und teure Prozesse sparen kann, als auch dem Staat, dessen Gerichte entlastet werden. Deshalb gilt es, angehende Juristen schon in der Ausbildung auf ihre Tätigkeit als Vertragsgestalter vorzubereiten", meint Dr. Markus Sikora, Notar in Bayern und Co-Autor des Lehrbuchs "Kautelarjuristische Klausuren im Zivilrecht". Anders als in den meisten zivilrechtlichen Klausuren müsse hier nicht in Ansprüchen, sondern in Interessen gedacht werden. "Dabei kann man sich in der Rolle eines Anwalts befinden, der einseitig die Interessen seines Mandanten möglichst umfassend in ein Vertragswerk einbringen möchte, aber auch in der eines Notars, der verpflichtet ist, die Interessen beider Seiten zu berücksichtigen und in Ausgleich zu bringen", sagt Sikora. Ganz ähnlich sieht das auch Rechtsanwältin Dr. Kerstin Diercks-Harms, hauptamtliche Prüferin im Landesjustizprüfungsamt Niedersachen. Auch sie hat unter dem Titel "Die rechtsgestaltende Anwaltsklausur - Methodik, Examensfälle mit Lösungen" ein Lehrbuch verfasst, das die Examenskandidaten in der Rechtsgestaltung schulen soll. Darin rät sie ihren Lesern, keinesfalls ganze Vertragsmuster auswendig zu lernen, sondern das Prinzip der Bearbeitung zu erfassen.Auch Gestaltungserklärungen gehören zur Kautelarklausur
Sie legt jedoch Wert darauf, dass der Begriff "Kautelarklausur" eigentlich zu eng gefasst sei: "Zumindest in Niedersachsen geht es nicht nur darum, einzelne Kautelen, also Vertragsklauseln zu verfassen. Es kann auch sein, dass man eine Kündigung schreiben, die Minderung erklären oder einen Vergleichsvorschlag erarbeiten muss. Deshalb sollte man besser von der rechtsgestaltenden Klausur sprechen." Mittlerweile haben alle Bundesländer in ihren Prüfungsordnungen die Voraussetzung für die Einführung dieses Klausurtyps geschaffen, aber der Stand der Umsetzung klafft mitunter noch weit auseinander: Während Bayern und Niedersachsen Vorreiter sind, gibt es das neue Format beispielsweise in Hamburg erst seit Juni 2014, in Hessen müssen Referendare ab Anfang 2015 damit rechnen. Darunter auch Peter Petrat. Er befindet sich seit knapp einem Jahr im Vorbereitungsdienst und ist stellvertretender Geschäftsführer der Landessprechervertretung der hessischen Referendare. In dieser Rolle wird er häufig gefragt, ob er und seine Kollegen ausreichend auf die neue Herausforderung vorbereitet würden: "Das Justizprüfungsamt hat uns zugesichert, dass eine zweitägige Einheit im Rahmen der Einführungs-AG sowie die Vorbereitung in den übrigen Arbeitsgemeinschaften genügen." Zudem würden in den Klausurenkursen bald auch rechtsgestaltende Klausuren angeboten werden.2/2: Juristische Probleme oft weniger anspruchsvoll als in anderen Klausuren
Wer sich trotz dieser Angebote von staatlicher Seite noch unsicher fühlt, kann natürlich auch den Weg zum Repetitor gehen. Torsten Kaiser, Mitgesellschafter der in Lübeck ansässigen Kaiserseminare, hat im Crash-Kurs zur zivilrechtlichen Anwaltsklausur einen Block für alle Fragen rund um die Kautelarklausur reserviert: "Meine Kollegen und ich werten für den Kurs Originalklausuren aus, um zu schauen, wo die Reise hingeht. Hier zeigen sich nicht wenige Teilnehmer immer wieder erstaunt, wie selten es in den Kautelarklausuren um echte juristische Probleme im klassischen Sinn geht. Häufig steht das pure 'Abklappern' der Wünsche des Mandanten im Vordergrund". Dementsprechend müsse es kein schlechtes Zeichen sein, wenn man sich als Bearbeiter bis zum Schluss fragt, wo nun eigentlich der große Clou der Klausur gesteckt habe. "Die Antwort ist: Nirgends. Insoweit unterscheidet sich die Kautelarklausur doch ganz erheblich von den anderen Anwaltsklausuren im Zweiten Examen." Diercks-Harms, die bei ihrer Arbeit am Landesjustizprüfungsamt schon viele Klausuren gestellt und korrigiert hat, möchte den Kandidaten die Angst vor rechtsgestaltenden Klausuren nehmen. In der Tendenz fielen Ergebnisse dieses Klausurtyps leicht überdurchschnittlich aus: "Ich kann jedem nur empfehlen, eine Referendarstation bei einer kleineren Kanzlei zu verbringen, die im Zivilrecht breit aufgestellt ist: Dort werden Verträge und AGB geschrieben, Kündigungen verfasst und Testamente entworfen. Wer die Zeit dort nutzt, wird in der rechtsgestaltenden Klausur belohnt."Wie man in der Kautelarklausur vorgeht – eine Kurzübersicht
Wenn man im Examen einer Kautelarklausur begegnet, rät Kaiser folgendermaßen vorzugehen: 1. Bearbeitervermerk lesen: Was ist gefordert? Ein Gutachten, an das sich ein praktischer Teil anschließt? Ein reines Gutachten? Oder nur ein Mandantenschreiben oder ein Vertragsentwurf? 2. Den Klausursachverhalt mehrfach lesen. 3. Mandantenzielermittlung: Oft ist der Vortrag des Mandanten ungeordnet und umfangreich. Daraus muss man dann die Regelungswünsche und die Priorität der Bearbeitung dieser Wünsche herausarbeiten. 4. Rechtliche Umsetzung: Das ist sicherlich der schwierigste Schritt. Der Korrektor bekommt auch nur diesen Teil der Prüfung zu sehen (z.B. als Vertragsentwurf, Testamentsentwurf, i.d.R. zusammen mit einem voranzustellenden Gutachten). Es kann sich auch "nur" um einfache Schreiben an Dritte oder den Mandanten handeln, es muss nicht immer ein Vertrag formuliert werden, obwohl Letzteres natürlich der Regelfall ist. Das gedankliche Grobschema ist wie folgt: a. Es gibt noch keinen Entwurf. Dann ist zu prüfen: Wie würde das Gesetz diesen Fall lösen? Hierbei stellt sich meist heraus, dass bei den meisten Punkten Regelungsbedarf besteht, weil das Gesetz vom Mandantenwillen abweicht. Wenn die gesetzliche Regelung abdingbar ist (was sie meist ist), müssen dann die Regelungsmöglichkeiten dargestellt werden. b. Gibt es dagegen bereits einen fertigen Entwurf, den der Mandant vorlegt und überprüfen lassen will, so sind die verschiedenen Klauseln auf ihre Wirksamkeit hin zu untersuchen. Dabei darf der Anwalt nicht vergessen, auch darauf zu achten, ob bislang bestimmte Ziele und Wünsche des Mandanten im bestehenden Entwurf noch gar keinen Niederschlag gefunden haben. Dann muss diese Lücke aufgedeckt und geschlossen werden. Julia Ruwe studiert Jura in Hamburg und schreibt nebenbei als freie studentische Mitarbeiterin für LTO.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2014 M10 28
Anwaltsberuf
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