Die juristische Presseschau vom 19. Januar 2024: Abschie­be­ge­setz besch­lossen / Fuchs­loch wird BSG-Prä­si­dentin / Kein Faschismus-Vor­wurf als Retour­kut­sche

19.01.2024

Bundestag verabschiedete Gesetz zur verbesserten Rückführung. Christine Fuchsloch wird neue Präsidentin des Bundesozialgerichts. AfD-Abgeordneter darf Spiegel-Journalistin nicht als "Faschistin" bezeichnen.

Thema des Tages

Abschiebungen: Der Bundestag hat das "Gesetz zur Verbesserung der Rückführung" verabschiedet. Es sieht unter anderem eine Verlängerung des Ausreisegewahrsams von derzeit 10 auf bis zu 28 Tage vor. Zudem sollen Behördenmitarbeitende in Gemeinschaftsunterkünften künftig auch andere Räume als das Zimmer der abzuschiebenden Person betreten dürfen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verspricht sich davon schnellere Abschiebungen. Während das Gesetz Union und AfD zu schwach ist, sehen Teile der Grünen, Linke und auch der Deutsche Anwaltverein Grundrechte verletzt. SZ (Markus Balser), zeit.de, LTO und beck.aktuell berichten. Ein kurzfristig beschlossener Änderungsantrag sollte verhindern, dass Seenotrettung kriminalisiert und überwacht werden kann. Nach Darstellung von netzpolitik.org (Anna Biselli) ist dies jedoch nur unvollständig gelungen.

Rechtspolitik

Haushalt: Um Probleme mit der Schuldenbremse zu vermeiden, hat die Ampel-Koalition im Haushaltsausschuss beschlossen, den Haushaltsentwurf für 2024 an zwei Punkten zu ändern. 1,5 Mrd. Euro Zuschüsse, die die Bundesagentur für Arbeit bekommen hatte, sollen nicht zurückgefordert werden, weil diese Zuschüsse einst unter Berufung auf die Corona-Notlage kreditfinanziert wurden. Auch verzichtet die Koalition darauf, im Jahr 2024 eine Notlage mit Blick auf die eingeplanten 2,7 Mrd. Euro Aufbauhilfe für das Ahrtal auszurufen. Möglich macht dies der Jahresabschluss des Bundes für 2023, der um mehr als sechs Milliarden Euro besser als erwartet ausfiel. Die FAZ (Manfred Schäfers u.a.) berichtet.

Geldwäsche: Die EU-Staaten haben sich auf die Einführung einer einheitlichen Obergrenze für Bargeld-Käufe von 10.000 Euro geeinigt. Unterhändler:innen des EU-Parlaments und der EU-Staaten einigten sich zudem auf weitere Maßnahmen, um stärker gegen Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und die Umgehung von Sanktionen vorzugehen. In Deutschland gibt es bislang keine Grenze für das Zahlen mit Scheinen und Münzen. beck.aktuell berichtet.

Werner Mussler (FAZ) sieht in der EU-Vorgabe eine ungerechtfertigte Freiheitsbeschneidung.

Lieferketten und Menschenrechte: Die positiven Auswirkungen der geplanten Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), der EU-Lieferkettenrichtlinie, werden für Menschen in Ländern des globalen Südens, deren Arbeits- und Lebensbedingungen besonders prekär sind, nur marginal sein, meinen auf dem Verfassungsblog Yves-J. Manzanza Lumingu und Lena Rudkowski, beide Rechtsprofessori:innen. Denn die CSDDD übersehe in ihrer eurozentristischen Prägung bestimmte Bedingungen im globalen Süden.

Justiz

BSG-Präsidentin Fuchsloch: Christine Fuchsloch wird neue Präsidentin des Bundessozialgerichts in Kassel. Sie wird am 1. März Nachfolgerin von Rainer Schlegel. Fuchsloch war seit 2010 Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts und ist seit Oktober Richterin am BSG. Sie ist die erste Frau an der Spitze des BSG. LTO (Tanja Podolski) berichtet.

LG Berlin zu Bezeichnung als "Faschistin": Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Brandner, darf die Spiegel-Redakteurin Ann-Katrin Müller nicht mehr als "Faschistin" bezeichnen. Das Landgericht Berlin gab der Unterlassungsklage Müllers wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts und Beleidigung statt. Brandner hatte Müller als "Faschistin", "Oberfaschistin" und "Spiegel-Faschistin" bezeichnet und dies damit begründet, dass Müller ihrerseits der AfD faschistische Züge zugeschrieben habe. Für die Bezeichnung Müllers als Faschistin gebe es jedoch keinerlei Anhaltspunkte, so das Gericht. Auch ihre Bezeichnung der AfD als faschistisch rechtfertige dies nicht. LTO (Felix W. Zimmermann) berichtet.

Felix W. Zimmermann (LTO) begrüßt das Urteil in einem gesonderten Kommentar als "Sieg für die Debattenkultur". Dürfe jede Person als "faschistisch" bezeichnet werden, würde der Begriff verharmlost und echte Faschist:innen würden nicht mehr auffallen, was auch im Interesse Brandners gelegen haben dürfte. Umso wichtiger sei es, dass die Berliner Richter:innen dieser "Faschismus-Retourkutsche" nun einen Riegel vorgeschoben haben.

EuGH zu Urlaubsvergütung: Auch bei vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand verfällt der Anspruch auf Geldausgleich für nicht genommenen Urlaub nicht, wenn Beschäftigte den Urlaub nicht nehmen konnten. Das entschied der Europäische Gerichtshof und bestätigte damit seine bisherige Linie zu Urlaubsvergütungen . Der Anspruch auf Urlaub oder auf Vergütung des nicht genommenen Urlaubs darf nur verfallen, wenn Arbeitgeber nachweisen können, dass sie die Arbeitnehmer:innen dazu aufgefordert haben, den Urlaub zu nehmen, diese über den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugs- oder Übertragungszeitraumes informiert und diese aus freien Stücken auf den Urlaub verzichtet haben. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky), LTO und beck.aktuell.

BFH zu Nachlassverkauf: Finanzämter dürfen für den Verkauf einer zum Nachlass einer Erbengemeinschaft gehörenden Immobilie keine Einkommensteuer verlangen, wenn ein Erbe zuvor den übrigen Mitgliedern einer Erbengemeinschaft ihre Anteile abgekauft hatte. Das entschied der Bundesfinanzhof und änderte damit seine bisherige Rechtsprechung. Voraussetzung für die Besteuerung sei, dass das veräußerte Vermögen zuvor "angeschafft" worden ist, der Kauf der übrigen Anteile einer Erbengemeinschaft sei aber keine einkommensteuerpflichtige Anschaffung. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky) und beck.aktuell

BayObLG zu Relativierung des Holocaust: Das Bayerische Oberste Landesgericht hat den bayerischen AfD-Politiker Florian Jäger vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Jäger hatte 2021 in einem Video die Corona-Impfkampagne mit den Novemberpogromen von 1938 verglichen. Diese Aussage könne unterschiedlich interpretiert werden. Die Vorinstanzen hätten nur die Interpretationsmöglichkeit einer Relativierung des Holocaust verfolgt und dies nicht näher begründet. Möglich sei aber auch dienicht strafbare Interpretation, dass die Politik häufig populistische Lösungen und Sündenböcke suche. LTO berichtet.

LG Hamburg – Landfriedensbruch am Rondenbarg: Vor dem Landgericht Hamburg hat der Prozess gegen fünf linke Angeklagte im Zusammenhang mit den Protesten gegen den G-20 Gipfel in Hamburg im Sommer 2017 begonnen. Den Angeklagten wird gemeinschaftlicher schwerer Landfriedensbruch und tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte auf der Straße Rondenbarg vorgeworfen. Die Tatbeteiligung bestehe darin, dass sie vermummt in geschlossener Formation mitmarschiert seien. Laut FAZ erklärten die Angeklagten, dass keinem von ihnen eine individuelle Tat vorgeworfen werde, sondern sie für die bloße Teilnahme an einer Demonstration bestraft würden.

LG Berlin I – Vergewaltigung im Görlitzer Park: Vor dem Landgericht Berlin I hat der Prozess gegen drei Männer aus Guinea und Somalia begonnen, denen der Überfall auf ein georgisches Paar und die gemeinschaftliche Vergewaltigung der Frau vorgeworfen wird. Der Vorsitzende Richter gab zunächst bekannt, dass es ein siebensekündiges Video von der Tat als neues Beweismittel gebe. Laut dem Anwalt des vorlegenden Angeklagten beweise es die Freiwilligkeit der Interaktion. Laut dem Anwalt der Nebenklägerin sei das Video zu kurz, um etwas zu beweisen. FAZ (Julia Schaaf)taz (Uta Schleiermacher), spiegel.de und zeit.de (Manuel Bogner) berichten.

VG Düsseldorf zu Wölfin Gloria: Die Wölfin Gloria im NRW-Wolfsschutzgebiet darf vorerst nicht abgeschossen werden. Das entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf und gab den Eilanträgen dreier Umweltverbände statt. Das Reißen von Schafen sei bei Gloria nur ein Ausnahmephänomen und nicht die Regel, weshalb ein ernster Schaden für die Landwirtschaft nicht zu befürchten sei. Ausnahmen vom Tötungsverbot dürfen die Umweltbehörden nur genehmigen, wenn durch das Tier ein ernster Schaden droht und es keine zumutbaren Alternativen zur Tötung gibt. Es berichtet LTO.

Auslieferungshaft: Oberlandesgerichte müssen nach allgemeiner Meinung in Auslieferungsverfahren keine mündliche Haftprüfung durchführen. Auf LTO erläutert Strafverteidiger Yves Georg warum er diese Praxis für verfassungswidrig hält. Ein Auslieferungshaftbefehl droht in Fällen, in denen zwecks Strafverfolgung oder -vollstreckung eine ausländische Person an einen ausländischen Staat oder eine deutsche Person an einen EU-Mitgliedstaat nach den Vorschriften des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe (IRG) ausgeliefert werden sollen.

LVerfG Berlin: Der Verfassungsgerichtshof Berlin ist seit Monaten unterbesetzt. Richterin Margarete von Galen ist im Sommer 2023 ausgeschieden, fünf der acht verbleibenden Richter:innen sind seit Sommer 2021 nur noch kommissarisch im Amt, da bisher keine Nachfolger:innen gewählt wurden. Grund sind zum einen die Probleme um die Berliner Abgeordnetenhauswahl 2021, die wiederholt werden musste, sowie Streit um die Frage, ob auch die Linke ein Vorschlagsrecht haben soll. Die taz-berlin (Erik Peter) berichtet.

Recht in der Welt

Russland/Ukraine – Sondertribunal: Heute treffen sich Vertreter:innen von 40 westlichen Staaten und mehreren Institutionen um über die Arbeitsweise und  Struktur eines Sondertribunals zur Verfolgung der russischen Aggressionen gegen die Ukraine zu beraten. Die SZ (Jan Diesteldorf/Paul-Anton Krüger) berichtet über erste Entwürfe der EU-Kommission und des Auswärtigen Dienstes der EU (EAD), die ihr vorliegen. Kernaufgabe des Sondertribunals soll die Verfolgung des Tatvorwurfs der Aggression, d.h. des Angriffskrieges, der "Mutter aller Verbrechen" sein. Dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ist dies nicht möglich, da Russland diesem nicht beigetreten ist.

EuGH/Niederlande – Abschuss MH17: Zwei niederländischen Medienunternehmen haben keinen Anspruch gegen die Regierung auf Veröffentlichung von geheimen Dokumenten zum Abschuss der malaysischen Maschine MH17. Das entschied der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Raad van State (Staatsrat). Die Beeinträchtigung der Informationsfreiheit und des Rechts auf freie Meinungsäußerung der klagenden Sender sei in diesem Fall gerechtfertigt. Auch sei der Verschluss von sicherheitsbezogenen Informationen angemessen, da die Vertraulichkeit der Daten über Flugstörungen und -unfälle zentral für die Flugsicherung sei. Prorussische Separatisten hatten die Maschine 2014 abgeschossen, als diese auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur war. FAZ, zeit.de und LTO berichten.

IAGMR/Costa Rica - Klimaschutz: Anfang Januar 2023 haben Chile und Kolumbien den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte um ein Gutachten zur Klärung des Umfangs der staatlicher Verpflichtungen im Hinblick auf den Klimawandel im Rahmen internationaler Menschenrechte ersucht. Die NGO-Mitarbeiter:innen Lena Riemer und Luca Scheid legen auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) die Kernargumente ihres Amicus-Curiae-Schriftsatzes dar, den sie zu dieser Frage beim IAMGR eingereicht haben. Sie konzentrieren sich dabei auf den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Vertreibung aus einer ergänzenden Schutzperspektive.

Sonstiges

AfD-Verbot: Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano plädiert auf dem Verfassungsblog für ein Verbotsverfahren gegen die AfD. Zwar werde die AfD versuchen, daraus politisches Kapital zu schlagen, indem sie sich als Opfer von Willkür und Zensur darstelle. Das tue sie aber ohnehin schon. Dieses Willkürargument werde aber schwächer, je mehr sich die Institutionen auf das Verbotsverfahren konzentrierten. Damit sei auch das Bundesverfassungsgericht gemeint, das dieses Verfahren nicht wie frühere Verbotsverfahren jahrelang verschleppen dürfe. Ein solches Verfahren würde den Rechtsextremismus zwar nicht aus der Welt schaffen, wäre aber ein wichtiges Signal.

"Das Grundgesetz der Tiere": Ab heute läuft im ZDF "Das Grundgesetz der Tiere", ein Animationsfilm zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. Im Interview mit der SZ (Marc Baumann) erläutern die Filmemacher Jan Böhmermann und Miguel Robitzky die Hintergründe und welche Aktualität diese Geschichte besitzt.  

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/ali/chr

(Hinweis für Journalist:innen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. Januar 2024: Abschiebegesetz beschlossen / Fuchsloch wird BSG-Präsidentin / Kein Faschismus-Vorwurf als Retourkutsche . In: Legal Tribune Online, 19.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53673/ (abgerufen am: 19.05.2024 )

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