Die Kamera auf dem Armaturenbrett: Video vom Verkehrsunfall als Beweismittel

von Christian Wolf, Hanna Schmitz

12.06.2013

Der Trend kommt aus Russland: Autofahrer heften sogenannte Dashcams an ihre Windschutzscheibe, die von dort aus den Verkehr filmen. Die Clips sind teils imposant, teils erschreckend und bei Youtube sehr beliebt. Doch können die Videos nach einem Unfall auch vor einem deutschen Gericht als Beweismittel dienen? Kommt darauf an, wie schlimm der Zusammenstoß war, meinen Christian Wolf und Hanna Schmitz.

Ob Unfall oder Meteoriteneinschlag – der Dashcam (von Dashboard Camera = Armaturenbrett-Kamera) entgeht nichts. Zu Popularität gelangten die Geräte zunächst in Russland, wo sie vor Gericht in Straf- und Zivilprozessen als umfassend zugelassenes Beweismittel dienen. Inzwischen verwandeln auch deutsche Autofahrer ihre Pkw immer häufiger in private Kamerawagen. Ob die Bilder, die dabei entstehen, nach einem Unfall auch hierzulande die Beweisführung stützen können, ist bislang jedoch noch nicht entschieden.

Vor deutschen Zivilgerichten wird über Videoaufnahmen im Wege des Augenscheins prozessual Beweis erhoben. Die Entscheidung über die Verwertbarkeit des vorgelegten Beweisstücks liegt dabei allein im Ermessen des Gerichts, welches lediglich an Recht und Gesetz gebunden ist. Bei bildlich festgehaltenen Tatsachen muss es insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht der aufgezeichneten Personen berücksichtigen.

Wahrheitsfindung gegen Persönlichkeitsrecht

Dieses ergibt sich unmittelbar aus dem Grundgesetz (GG). Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützen die Befugnis des Einzelnen, selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Zwar geht dieses Recht nicht so weit, dass es einen umfassenden Schutz davor gewähren würde, in der Öffentlichkeit durch andere beobachtet zu werden. Sehr wohl hingegen gewährleistet es von unerwünschter Kontrolle oder Überwachung frei zu sein. Man muss also auch auf öffentlichen Wegen und Plätzen keineswegs generell dulden, gefilmt zu werden.

Wie jedes Grundrecht unterliegt jedoch auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewissen Schranken. Bei der Entscheidung, ob ein Dashcam-Video zum Beweis zugelassen wird, muss das Gericht daher dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der gefilmten Personen die verfassungsrechtlich geschützten Positionen der übrigen Verfahrensbeteiligten gegenüberstellen.

Verdeckte oder offene Aufnahme

Als solche kommt in einem Schadensersatzprozess nach einem Unfall vor allem das Interesse des Klägers an der Wahrheitsfindung in Betracht, um seine berechtigten Ansprüche auch durchsetzen zu können. Besonders, wenn der Aufgezeichnete selbst den Schaden verursacht und dabei womöglich sogar eine Straftat begangen hat, können die Interessen des Kameranutzers die Persönlichkeitsrechte des Gefilmten überwiegen.

Grundsätzlich ist entscheidend, ob die Aufnahme verdeckt oder offen und für den betroffenen Personenkreis erkennbar erfolgte. Wenn der Gefilmte die Videokamera sehen konnte und mit einer Aufzeichnung rechnen musste, wiegt eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts weniger schwer. Konnte er die Aufzeichnung hingegen weder erkennen noch etwa wegen eines Hinweisschildes damit rechnen, muss das Interesse des Filmenden daran, die Aufnahmen im Prozess zu verwerten, schon sehr stark wiegen, damit das Beweismittel zugelassen wird. Im Fall einer verdeckten Mitarbeiterüberwachung hat das Bundesarbeitsgericht beispielsweise entschieden, dass allein das Interesse, ein Beweismittel zu sichern, nicht ausreicht, um eine Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte zu rechtfertigen.

Die Dashcam liefert nicht das ganze Bild

Die Dashcams zeichnen wohl verdeckt auf. Zwar sind sie bei genauerem Hinsehen an der Windschutzscheibe für andere Verkehrsteilnehmer erkennbar. Allerdings dürften die relativ kleinen Kameras, zumal im fließenden Verkehr, wohl nur von den wenigsten Autofahrern wahrgenommen werden. Damit sind an die Interessen des Kameranutzers hohe Anforderungen zu stellen. Sofern sich sein Schaden in Grenzen hält, und er dem Gefilmten ein vergleichsweise geringes Fehlverhalten vorwirft, dürfte die Abwägung zu seinen Ungunsten ausgehen. Anders kann sich die Lage darstellen, wenn dem Dashcam-Nutzer ein erheblicher (körperlicher) Schaden entstanden ist.

Neben dem Persönlichkeitsrecht des Aufgezeichneten muss sich der Richter auch damit befassen, wie zuverlässig das Video überhaupt das Geschehen beweist. Es dürfen keine Zweifel daran bestehen, dass die Videoaufzeichnungen der Dashcam frei von Manipulationen sind. Insofern stellt sich die Frage, wie manipulationsanfällig die Auto-Kameras im Allgemeinen, und das im Einzelfall verwendete Modell im Speziellen sind. Sollte hierüber ein Streit entbrennen, wäre dieser durch Hinzuziehung eines Sachverständigen zu lösen.
Die Beweiserhebung im Zivilprozess ist jedoch nicht auf den Augenschein beschränkt. Das Gericht hat noch mehr Möglichkeiten. Es kann durch Zeugenaussagen, Sachverständige oder Urkunden das Geschehen ermitteln.

Eine Dashcam kann aber bestenfalls den Blick durch die Windschutzscheibe eines Unfallbeteiligten bieten. Das ganze Bild ergibt sich nur durch das Zusammenspiel aller vorhandenen Beweise. Am Ende liegt es allein am Gericht, zu entscheiden, welchen Stellenwert es dem Videobeweis neben den übrigen Beweismitteln zukommen lässt.

Der Autor Christian Wolf ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches- Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht an der Juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover, die Autorin Hanna Schmitz ist Mitarbeiterin am dortigen Lehrstuhl.

Zitiervorschlag

Christian Wolf, Hanna Schmitz, Die Kamera auf dem Armaturenbrett: Video vom Verkehrsunfall als Beweismittel . In: Legal Tribune Online, 12.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8906/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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