Die Einführung des "elektrischen Stuhls" im Strafvollzug von New York war vor 125 Jahren eine verwickelte Veranstaltung, in der Mediziner und Politiker ideologisch zusammenwirkten und sich Juristen moralisch zurückhielten. Martin Rath bespricht eine neue Dissertation, die auch weniger bekannte, an einen Horrorfilm erinnernde Facetten aufdeckt.
Höflich war die bürokratische Prozedur immerhin, die zum Tod führte: "Sehr geehrter Herr, ich bedaure, Sie darüber zu informieren, dass ich eine Anweisung des Berufungsgerichts erhalten habe, mit der die Woche nach dem 13. September 1943 als Zeitraum festgelegt wird, um in Ihrem Fall das ursprüngliche Todesurteil auszuführen. Mit freundlichen Grüßen | Der Gefängnisdirektor".
Der Empfänger dieser Nachricht, der am 3. November 1921 in Puerto Rico geborene Anibal Almodovar, hatte im Sommer 1942 eine drei Jahre ältere Sonntagsschullehrerin geheiratet. Die von beidseitiger Fremdgeherei belastete Ehe hielt nicht lange. Die Frau wurde im November 1942 in New York ermordet aufgefunden. Nach Erkenntnis des Gerichts, überführt durch Geständnis, hatte Almodovar seine Frau ermordet. Im New Yorker Staatsgefängnis Sing Sing erfolgte die Tötung des Verurteilten am 16. September 1943. Der Musterungsbehörde, die USA standen im Krieg, wurde einen Monat später mitgeteilt: "In reply to your letter … I wish to advise that the above noted inmate was legally discharged by electrocution…"
Electrocution - eine medizinisch-juristische Erfindung
Der Insasse wurde durch elektrische Hinrichtung de iure aus der Haft entlassen – schöne Formulierung, wenn man es so übersetzen möchte. 2013 schloss der Hamburger Historiker Markus Hedrich seine jetzt im Druck verfügbare Dissertation ab zum Thema "Medizinische Gewalt. Elektrotherapie, elektrischer Stuhl und psychiatrische 'Elektroschocktherapie'" in den USA, insbesondere im Bundesstaat New York. Darin legt er eine bemerkenswerte Analyse des Zusammenspiels von medizinischer Wissenschaft, politischem Kalkül und juristischer Praxis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor. Sie erschöpft sich beileibe nicht darin, den in ihren höflichen Umschreibungen heute etwas zynisch wirkenden Phrasen im Schriftverkehr zwischen Behörden nachzugehen.
Phrasen deuten auf Routine hin. Tatsächlich war die Hinrichtung mittels elektrischen Stroms im Bundesstaat New York, der als industrielles Zentrum der USA hier die Führung übernommen hatte, zum Zeitpunkt von Almodovars Tötung bereits eine strafprozessuale Routine geworden.
Die Einführung der "electrocution" im Staat New York erfolgte 1888/89 in einem Zusammenspiel aus medizinischem Fortschrittsglauben, dem Wunsch politischer Akteure, sich als Humanisten profilieren zu können, aus persönlichem Macht- und unternehmerischem Gewinnstreben, bösartigster Public-Relations-Arbeit sowie juristischer Zurückhaltung im moralischen Urteil gegenüber der neuen Tötungsmethode und ihren Anhängern.
Edison versus Westinghouse
Vergleichsweise bekannt ist die PR-Geschichte des "elektrischen Stuhls", über die Hedrichs Analyse indes deutlich hinausgeht: Thomas A. Edison (1847-1931), einer der führenden Vertreter der Elektrifizierung, bevorzugte die Verbreitung von Gleichstromtechnik. Das Geschäft des anderen großen Elektro-Unternehmers, George Westinghouse (1846-1914), beruhte auf der Wechselstromtechnik. Edison nutzte die Gelegenheit, sein System als das weniger gefährliche zu propagieren, als sich der Gesetzgeber des Staates New York 1888/89 selbst unter Zugzwang gesetzt hatte.
David B. Hill (1843-1910), seit 1885 Gouverneur von New York, war – wohl um seinen Fortschrittsgeist als Politiker der Demokratischen Partei zu illustrieren – daran gelegen, den Strafvollzug zu modernisieren. Als Ergebnis einer bereits seit Jahren in Zirkeln von Medizinern, Juristen und Politikern geführten Diskussion, schrieb das Staatsparlament von New York 1888 vor, dass ab dem 1. Januar 1889 ausschließlich mittels elektrischen Stroms zu töten sei. Ein Hinrichtungsgerät existierte allerdings noch nicht einmal auf dem Papier, sodass die Hinrichtung des ersten Verurteilten, William Kemmler, 1890 auch zum juristischen Streitfall wurde.
Martin Rath, Rechts- und Medizingeschichte: . In: Legal Tribune Online, 16.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13820 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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