LG Köln fällt wegweisendes Urteil: Religiöse Beschneidungen von Jungen verboten

Noch nie hat ein Gericht sich mit der Frage beschäftigt, ob das deutsche Recht religiös motivierte Beschneidungen an Kindern erlaubt. Das LG Köln hat jetzt rechtskräftig entschieden: Sie sind verboten. Wer sie vornimmt, macht sich strafbar, weder Elternrecht noch Religionsfreiheit rechtfertigen den Eingriff. Ein richtiges und mutiges Urteil, meint Holm Putzke.

Männliche Beschneidungen sind im Islam und Judentum üblich. Diese religiöse Verwurzelung bot bisher einen gewissen Schutz gegenüber Kritikern und ihren Einwänden, so dass das archaische Ritual noch bis vor wenigen Jahren relativ ungestört vollzogen werden konnte. Dabei weisen gerade Ärzte schon lange darauf hin, dass der Eingriff bei Kindern keine medizinischen Vorteile mit sich bringe, er mit anderen Worten medizinisch sinnlos und unnötig sei. Anderes gelte nur, wenn eine Krankheit zu behandeln sei, wie zum Beispiel eine krankhafte Vorhautverengung.

Trotz ethischer Bedenken setzte die juristische Diskussion erst im Jahr 2008 ein und wird seitdem umso intensiver in Aufsätzen, Kommentaren und Lehrbüchern geführt. Inzwischen stuft die Mehrheit der Experten medizinisch nicht notwendige, also auch religiöse Beschneidungen als rechtswidrige Körperverletzungen ein, das heißt als Straftat nach § 223 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB).

Das Landgericht Köln hat sich dieser Meinung nun angeschlossen (LG Köln, Urt. v. 07.05.2012, Az. 151 Ns 169/11). Auch wenn die Kölner Kammer den angeklagten muslimischen Arzt am Ende wegen eines Verbotsirrtums freisprach, bedeutet ihre Entscheidung eine Zäsur: Zukünftig wird sich kein Mediziner mehr darauf berufen können, er habe geglaubt, Beschneidungen an nicht einwilligungsfähigen Jungen aus religiösen Gründen vornehmen zu dürfen.

Vom Beschneider in die Kindernotaufnahme

Der angeklagte Kölner Arzt, selbst frommer Muslim, hatte an einem vierjährigen Jungen auf Wunsch der islamischen Eltern und fachlich einwandfrei eine Beschneidung vorgenommen. Eine medizinische Indikation lag dabei nicht vor. Zwei Tage später kam es – was nicht ungewöhnlich ist – zu Nachblutungen. Die Mutter brachte den Jungen in die Kindernotaufnahme der Universitätsklinik Köln, wo die Blutungen gestillt werden konnten.

Die Staatsanwaltschaft erhielt Kenntnis von der Sache und erhob Anklage wegen Körperverletzung gegen den Beschneider. Zunächst erfolglos, das Amtsgericht sprach den Arzt frei, weil er wegen der religiösen Motivation der Eltern und deren Einwilligung schon kein Unrecht begangen habe.

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin setzt sich die Strafkammer am LG ausführlich und mustergültig mit dem juristischen Diskussionsstand auseinander. Zunächst verneint sie die Sozialadäquanz religiöser Beschneidungen, sagt also, dass der Eingriff den Tatbestand der Körperverletzung erfülle.

Auch die elterliche Einwilligung rechtfertigt den Eingriff nicht, so die Kölner Richter, weil er dem Kindeswohl widerspreche. Zudem lassen sie das Argument nicht gelten, die Eltern wollten mit der Beschneidung verhindern, dass ihr Kind sozial ausgegrenzt werde. Dieser Aspekt wiege die irreversible Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit nicht auf.

Den Grundrechten der Eltern auf freie Religionsausübung und ihr Erziehungsrecht stellt das Gericht das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gegenüber. Seine Rechte zögen den elterlichen Befugnissen eine verfassungsimmanente Schranke. Die Beschneidung mit ihren dauerhaften und irreparablen Folgen laufe dem Interesse des Kindes zuwider, später selber über seine Religionszugehörigkeit zu entscheiden. Auch die Wertung der Vorschrift des § 1631 Abs. 1 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der Gewalt gegen Kinder verbietet, spreche gegen die Angemessenheit des Eingriffs.

Freispruch trotz Rechtswidrigkeit

Obwohl das LG das Verhalten des Beschneiders klar als rechtswidrig einstufte, sprach es ihn frei. Die Kölner Richter attestierten ihm einen unvermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 S. 1 StGB. Der Arzt sei davon ausgegangen, dass ihm die Beschneidung aus religiösen Gründen gestattet sei, er also rechtmäßig handele. Dieser Irrtum sei unvermeidbar gewesen, da zum Zeitpunkt des Urteils die Rechtslage unklar gewesen sei.

Der Freigesprochene hatte also noch einmal Glück. Zukünftige Angeklagte werden sich nicht mehr auf die Unvermeidbarkeit ihres Irrtums berufen können, wenn sie sich bei einer Beschneidung im Recht glauben. Denn die Rechtslage ist seit dem Urteil des LG klar. Das bedeutet zugleich: Wer zukünftig medizinisch nicht notwendige Beschneidungen an nicht einwilligungsfähigen Jungen durchführt, kann dafür zur Verantwortung gezogen werden und macht sich wegen vorsätzlicher Körperverletzung strafbar!

Im vorliegenden Fall war die Vermeidbarkeit des Irrtums zumindest nicht zweifelsfrei. Darum war der Freispruch nach dem Grundsatz in dubio pro reo geboten. Auch im Übrigen handelt es sich um ein Urteil, das Beifall verdient. Es wird, nachdem die reflexhafte Empörung abgeklungen ist, hoffentlich eine Diskussion darüber in Gang setzen, wie viel religiös motivierte Gewalt gegen Kinder eine Gesellschaft zu tolerieren bereit ist.

Der Autor Prof. Dr. Holm Putzke LL.M. ist Professor für Strafrecht an der Universität Passau. Mit seinem im Jahr 2008 erschienenen Aufsatz „Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben“ hat er die Diskussion zur Strafbarkeit der medizinisch nicht indizierten Zirkumzision angestoßen und durch weitere Beiträge geprägt.

Zitiervorschlag

Holm Putzke, LG Köln fällt wegweisendes Urteil: . In: Legal Tribune Online, 26.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6472 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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