Alkohol im Straßenverkehr: Die Blutentnahme - ein Fall für den Richter?

von Prof. Dr. Guido Fickenscher

06.06.2010

Früher erschien sie fast als selbstverständliche Anordnungskompetenz der Polizei: Die Blutentnahme beim alkoholisierten Fahrzeugführer. Das BVerfG hat jedoch klargestellt, dass in der Regel nur ein Richter diese anordnen darf. Nun ist die genaue Vorgehensweise unklar – mit erheblichen Konsequenzen. Prof. Dr. Guido Fickenscher plädiert für eine Anordnungskompetenz der Polizei.

Besondere Brisanz hat die Diskussion auch deshalb, weil Alkoholfahrten im Straßenverkehr ein Alltagsphänomen darstellen und zugleich die Frage zu klären ist, ob die Justiz einen 24-stündigen richterlichen Bereitschaftsdienst bereitzustellen hat.

Die Anordnung der Blutentnahme steht als körperlicher Eingriff gem. § 81a Abs. 2 StPO unter dem Vorbehalt des Richters. Nur wenn der Untersuchungserfolg gefährdet ist, dürfen auch ein Staatsanwalt und Polizeibeamter die Blutprobe wegen "Gefahr im Verzug" anordnen. In der Vergangenheit wurde eine solche Gefahr im Verzug – und damit eben auch die Anordnungskompetenz der Polizei - stets quasi automatisch bejaht. Als Begründung wurde der kontinuierliche Alkoholabbau im Blut angeführt, der ein längeres Abwarten ausschließe.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat aber mit Beschluss vom 12.02.2007 (Az. 2 BvR 273/06) verdeutlicht, dass die präventive richterliche Kontrolle als Regelfall auch in der Masse der Alltagsfälle gewahrt bleiben soll und "Gefahr im Verzug" die Ausnahme darstellt. Dies gilt auch für die Anordnung von Blutentnahmen. Allein der Alkoholabbau im Blut rechtfertigt daher nicht mehr den pauschalen Verzicht auf die richterliche Entscheidung.

Vom Zeitpunkt der Feststellung einer Alkoholfahrt bis zur Entnahme der Blutprobe durch den Arzt vergeht in der Regel ohnehin rund eine Stunde. Somit ist grundsätzlich ein Zeitraum vorhanden, innerhalb dessen eine richterliche Entscheidung ohne nennenswerte Verzögerung eingeholt werden kann.

Aktuelle Tendenzen

Einige Gerichte verlangen deshalb zur Tageszeit stets die Herbeiführung einer - zumindest mündlichen - richterlichen Entscheidung. Zu einer relevanten Verzögerung kommt es dadurch nicht. Die Sachverhalte sind in der Regel einfach gelagert und eignen sich daher für mündliche Anordnungen.

Diese Argumentation ist schlüssig und sachgerecht. Die praktische Umsetzung führt leider zu unterschiedlichen, manchmal schwer nachvollziehbaren Verfahrensweisen. Zum Teil wird verlangt, dass die Kontaktaufnahme der Polizei mit dem Richter nur über die Staatsanwaltschaft (als Herrin des Ermittlungsverfahrens) erfolgen dürfe. Diese müsse beim Richter die Entscheidung einholen und sie an den Polizeibeamten weitergeben.

Unklar ist auch, was bis zur richterlichen Entscheidung mit dem Beschuldigten zu geschehen hat. In einigen Bundesländern wird der Beschuldigte mit dem Argument, dass bis zur richterlichen Anordnung der Blutentnahme kein Festhaltegrund vorliege, am Kontrollort belassen. Andere Gerichte lehnen eine mündliche Entscheidung ohne Aktenvorlage ab, da anders keine sachgerechte Entscheidung möglich sei. Da die Aktenvorlage aber einen zu langen Zeitraum beanspruche, könne der Polizeibeamte wie bisher wegen Gefahr im Verzug die Anordnung treffen.

Konsequenzen: Bereitschaftsdienste, unsichere Beamte – und ein Appell

Der 3. Strafsenat des OLG Hamm hält es allein aufgrund der Häufigkeit von Blutentnahmeanordnungen - die zumeist in der Nacht erfolgen - für rechtlich geboten, einen 24-stündigen richterlichen Bereitschaftsdienst einzurichten. Werde dem nicht nachgekommen, liege ein Verschulden der Justizorganisation vor und eine ohne richterliche Anordnung durchgeführte Blutentnahme sei allein aus diesem Grund rechtswidrig. Diese Rechtsprechung ist allerdings stark umstritten.

Es ist von einer Abwägung im Einzelfall abhängig, ob eine rechtswidrige Blutentnahme ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht. Hat der Polizeibeamte den Richtervorbehalt grob verkannt, ihn gezielt umgangen oder willkürlich gehandelt, führt dies zu einem Beweisverwertungsverbot. Bedingt durch die aktuell unübersichtliche Rechtslage werden Verstöße seitens der Polizei gegen den Richtervorbehalt allerdings bisher überwiegend nicht als grobe Verkennung der Rechtslage gewertet.

Den fehlenden nächtlichen Bereitschaftsdienst indessen hat der 3. Senat des OLG Hamm erstmalig als Grund für ein Verwertungsverbot eingestuft.

Die Anzahl der Blutentnahmen wegen Trunkenheitsfahrten ist aufgrund der derzeitigen rechtlichen Unklarheiten zum Teil dramatisch zurückgegangen. Daher wird zunehmend auf eine Lösung durch die Änderung von § 81a StPO gedrängt. Vorgeschlagen wird, die Anordnungskompetenz für Blutentnahmen auf Polizeibeamte zu übertragen. Dies ist konsequent und rechtlich zulässig: Es liegt ein minimalinvasiver medizinischer Eingriff vor, die körperliche Unversehrtheit ist somit nur geringfügig betroffen. Zudem enthält § 81a StPO nur einen sog. einfachgesetzlichen Richtervorbehalt, der nicht vom Grundgesetz vorgegeben ist.

Der Autor Prof. Dr. Guido Fickenscher arbeitet als Rechtswissenschaftler an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg, Oranienburg. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit eingriffsrechtlichen Fragen zum Polizei- sowie Strafprozessrecht. Er hat zahlreiche Veröffentlichungen zum Polizei- und Ordnungsrecht, insbesondere zu den Anordnungskompetenzen der Polizei bei Alkoholfahrten im Straßenverkehr verfasst.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Guido Fickenscher, Alkohol im Straßenverkehr: Die Blutentnahme - ein Fall für den Richter? . In: Legal Tribune Online, 06.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/643/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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